Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent Geschichten für Weihnachtsmuffel
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Ein Tag mit Euch

© H. P. Barkam

Kathrin stand im von mir am Vortag hingebungsvoll geputzten Bad und putzte sich heraus. "Erwarten wir hohen Besuch, wovon ich nichts weiß, oder warum donnerst du dich so auf?" "Vielleicht ist heute Weihnachten", bekam ich nicht wirklich eine Antwort auf meine sachliche Frage. Ich lehnte also am Türrahmen und beobachtete die propere Frau, wie sie in weihnachtlich roter Unterwäsche, leicht zum Vergrößerungsspiegel vorgebeugt, mit einem grünen Stift im Bereich ihrer Augen herumfummelte. Ich erkannte den Stift wieder.

Den hatten wir auf einer unserer letzten Fahrten in einem Drogeriemarkt nach eineinhalb Stunden Probetraining käuflich erworben. Glaubte ich jedenfalls. Ich schaute ihr gerne dabei zu, wenn sie sich mit sich selbst beschäftigte. Sie war dann konzentriert und entspannt zugleich. Nur selten lies sie sich dabei hetzen. Und wenn es dann doch einmal zu zeitlicher Enge kam, war ich garantiert nicht in der Nähe. Ich schaute ihr also bei dieser Gesichtsumwandlung zu und freute mich, wie so oft bei den unmöglichsten Gelegenheiten, dass wir immer noch ein Paar waren. Nicht unbedingt mein Verdienst, überlegte ich mir und wollte aus purer Dankbarkeit ihren runden weichen erotischen und so gut riechenden Körper umfassen, als sie meine unauffällige Annäherung bemerkte. "Lass das! Dafür haben wir jetzt keine Zeit", wurde ich mit ungewohnter Wortwahl und einem liebevollen Kuss abgespeist. Der Kuss war auch nur aufgrund des noch nicht aufgetragenen Lippenstiftes genehmigt worden. "Was ist?" "Ist was?" "Hast du nichts zu tun?" oder ähnliche Kommunikation fördernde Sprüche verleiteten mich meist dazu, entsprechend intelligent zu reagieren. "Nö!" " Später!" "Im Moment nicht!" waren meine erprobtesten Antworten, bevor ich mich im Regelfall blitzartig verzog. "Lass das!" war selten und kam mir irgendwie gefährlich vor. Die Flucht in mein Zimmer erfolgte dann auch postwendend, bevor die Frau meines Lebens mich zu ungewolltem Aktionismus verleiten konnte. Nicht an diesem Tag! Mein erstes Weihnachten, an dem ich seit vielen Jahren nicht arbeiten musste, wollte ich mir nicht mit Hausarbeit versauen. "Bärchen!" Ich beschloss, nichts gehört zu haben.

"Großes Bärchen!", stand meine Chefin mit diesem ich möchte, dass du etwas für mich tust Blick in meinem Zimmer. "Bitte", bemühte ich mich möglichst grob unfreundlich zu sein. Da ich das aber eigentlich immer war, wirkte das auf Kathrin nicht die Bohne. "Wenn du gleich einkaufen gehst ..." "… gehe ich?", unterbrach ich größenwahnsinnig und bereute. "… und wenn du dann gleich die Wurstbrötchen abholst, könntest du noch Kuchen für heute Nachmittag mitbringen." "Gerne mein Liebling."

Zurück vom Einkaufen, nur mit leicht gefüllten Rucksack und drei proppenvollen Leinbeuteln beladen, stolperte ich auf der erweiterten Parkfläche mitten in der Diele über die versammelte Gemeinschaft unterschiedlichsten Schuhwerks. Dass ich aus den Augenwinkeln heraus einen Totenkopf zu sehen glaubte, ließ mich erschaudern und an ehemalige Träume nach durchzechten Nächten denken. Fluchend und glaubhaft versichernd, dass ich meine Familie heiß und innig liebte, erreichte ich mit letzter Kraft die Einbauküchenarbeitsplatte, auf der ich meine Ware mit großer Sorgfalt schwungvoll ablud. Erschöpft, aber froh, den Erlebniseinkauf hinter mir zu haben, drehte ich mich zur Tür, da ich meinte, eine Bewegung hinter mir gespürt zu haben.

Kathrin: "Na, hast du alles gekriegt?"

Ich: "Ich denk schon?"

Kathrin: "Hast mal wieder ganz schön zugeschlagen."

Ich: "Passt schon."

Kathrin: "Ob du noch mal lernst, nicht zuviel einzukaufen? Na egal. Hauptsache du hast den Kuchen nicht vergessen. So. Jetzt ziehe ich mich noch schnell an und lege dann auch sofort los."

Ich: "Womit?"

Kathrin: "Mit Allem:"

Ich: "Aha!"

Kathrin fing sofort an mich zu unterstützen, indem sie die von mir gekauften Fressalien aus den Tragetaschen herauswühlte und in der ganzen Küche verteilte. Kathrin. Leicht unruhig: "Wo ist denn der Kuchen?"

Ich: "Noch draußen auf dem Fahrrad. Warte, hole ich sofort."

Als ich mit dem Karton wieder zurückkam, der durch die Vielzahl von Vorratsdosen doch schwerer war als ich beim einpacken aus dem vollen Einkaufswagen gedacht hätte, erschien in einer sich öffnenden Zimmertür ein weiterer Totenkopf über zerknittertem, rotumrahmten Gesicht. Was für eine nette Kopfbedeckung. "Guten Morgen, meine Lieblingstochter." "Guten Morgen, mein Lieblingsvater", wurde ich höflich von dem Wesen zurückgegrüßt, bevor es schwungvoll schleichend im Bad verschwand, nicht ohne die Festigkeit der Türzarge durch beherztes Türenschließen überprüft zu haben. Schnell den Karton abgestellt, machte ich mir keine Sorgen wegen der Tür, wir waren ja Haft und Hausratversichert. Überdenkenswerter fand ich die Aussage meines Kindes, dass ich ihr Lieblingsvater wäre. Ob ich den bisher für einfach nur lustig befundenen Hinweis auf Natalias T-Shirt vielleicht doch ernst nehmen sollte? Auf der Vorderseite des Hemdes stand eine klare, erfreuliche Aussage zu ihrer psychischen Verfassung: "Ich bin nicht Schizophren." Die Bestätigung auf ihrem Rücken ließ mich als Lieblingsvater, von wie vielen Vätern eigentlich, erschauern: "Ich auch nicht", antwortete das Hemd auf der Rückseite, was ich plötzlich sehr alarmierend fand. Just in dem Moment, wo ich nicht wusste, wie ich in dieser Angelegenheit weiter vorgehen sollte, gab sich mein Sohn, fröhlich verpennt aussehend, die Ehre seines Erscheinens. "Eingekauft?" Ich war Stolz darauf, einen dermaßen intelligenten Sohn gezeugt zu haben. Hatte ich? Lieblingsvater, Intelligenz, rote Haare, schwarze Haare und beide Kinder sind erheblich größer, breiter und schwerer als ich. Das konnten die doch gar nicht von mir haben. Da hatte ich doch vor einiger Zeit etwas über vertauschte Kinder im Kreissaal gelesen. "Was gibt es denn zu Essen?" Da standen sie vor mir, meine kleinen Racker mit Mama und strahlten mich liebevoll an. Na, wenn das nicht Kathrins Kinder waren. Eine riesige Krise umtobte die Familie in meiner Birne und die drei hatten nur ihr leibliches Wohl im Sinn. Ich war beruhigt und demonstrierte, wer in diesem Haushalt das Sagen hatte: "Später. Jetzt räume ich erst einmal die Sachen ein." Ohne Widerstand wich die geballte Front ins Wohnzimmer, schnappte sich die Kniffelblöcke und lies mich alleine gewähren. Ging doch! Noch hatte ich die Macht über meine Küche und kochte, wann ich wollte. "Bärchen! Was meinst du denn, wann wir essen können?" Resigniert setzte ich die Töpfe auf. Den Schwung Dosen räumte ich später in den kleinen Vorratsschrank unter dem gut gefüllten Kühlschrank. Wir würden an diesen Weihnachten garantiert nicht verhungern.

Nachdem die drei mir liebsten Menschen das in zwei Stunden schnell zubereitete klitzekleine Mittagessen innerhalb von zehn Minuten hinein genossen hatten, räumte ich das Geschirr vom Esstisch und schloss mich mit einer Kanne Tee in der Küche ein. Abendessen und ich mussten auf den Heiligen Abend vorbereitet werden. Wir hatten uns hoch und heilig geschworen, einander nicht zu kontrollieren und damit unsere jeweilige Kreativität zu stören. Während meine Kinder den garantiert nicht nadelnden Nadelbaum vom Balkon ins Wohnzimmer zerrten, verschloss ich meine Ohren mit feuchtem Klopapier, und bekam von da an nichts mehr mit.

Peng, lag der erste kleine Blumentopf zerscheppert auf den Fliesen.

Kathrin, zerknirscht und traurig über den herben Verlust, verbarg tapfer ihren sichtbaren Ärger. Die Kinder waren stolz auf ihre Mama. Niklas zerschnitt mit dem stumpfsten Messer unseres Haushalts, welches er bereits vor meinem Rückzug in der Küche requiriert hatte, das Netz des von Natalia aufrecht gehaltenen Baumes, sodass der Baum samt Natalia umfiel. Dieses wiederum fand Mama Kathrin, im Gegensatz zu ihrer Tochter Natalia, äußerst amüsant, bis Niklas auf die drei abgebrochenen Tannenbaumzweige aufmerksam machte. Kathrin drehte am Rad. Ihre Wut bewundernswert bezähmend, warf sie nur eine der zum Baumschmücken bereitgelegten Christbaumkugeln vor Niklas nackte Füße. "Wir brauchen nicht mehr so viele", und zeigte auf die abgeknickten Zweige. Natalia rappelte sich mühsam aber voller Frohsinn inmitten der Scherben des ehemals von Kathrin liebevoll und schön dekorierten Glasbeistelltisches hoch. Niklas steckte den Baum in den feiertagserfahrenen Weihnachtsbaumständer und verstellte dann sein eigenes linkes Standbein, um seiner Schwester beim aufstehen behilflich zu sein.

Zu seinem Unglück hatte er die hübsche glitzernde zersplitterte Weihnachtsbaumkugel vergessen. Sein durch Mark und Bein gehender Schmerzensschrei, als sich gleich mehrere feinnadelige Christbaumkugelreste in seinen rechten Fußballen hineinbohrten, erschreckte Natalia dermaßen, dass sie die zu diesem Zeitpunkt erarbeitete Kopfhöhe und sich selbst mit einem Plumps fallen ließ. "Ich glaube, dein Glastisch ist im Arsch", sprach sie und eine gewisse Verblüfftheit auch aus ihrem Gesicht, als sie sich eine mittelgroße Glasscherbe aus ihrer linken Pobacke zog. "Scheiße, das ist doch jetzt wirklich bescheuert."

Mich wunderte es schon, dass ich, trotz des Klopapiers in meinen Ohren, einen Höllenlärm aus dem Wohnzimmer vernahm. Also ging ich hinüber, anstatt mich in die nächste Stadt zu beamen. Meine beiden Kinder saßen inmitten von blinkenden Minikerzen, den Tannenbaum auf den Schoß gelegt und hatten blutige Hände. Kathrin fummelte in Glasscherben. Drei Gesichter starrten mich an. "Was zum Teufel …", wurde mir auch schon das Wort abgeschnitten. "Steh nicht so rum. Tu was!" forderte Kathrin mit erstaunlich ruhiger Stimme. Fremde, die meine geliebte Frau nicht näher kannten, hätten allerdings jeden Meineid geschworen, dass sie mich hemmungslos hysterisch angeschrieen hat. Ich klopfte auf das imaginäre Kommunikationsgerät auf meiner Brust und befahl: "Beame mich hoch Jim!" Niklas sein brüllendes Gelächter war eindeutig das Resultat eines allgemeinen Familienwahnsinns. Nur so ließ es sich erklären, dass wir nach Versorgung der Wunden und Entsorgung des Glasbruchs eine schöne Bescherung mit willkommenen interessanten Geschenken durchführten. Kathrins Begeisterung war unbeschreiblich, als sie den Wäschetrockner sah, den ich ihr als Ergänzung zur Waschmaschine des letzten Jahres schenkte. "Damit hast du mal wieder den Vogel abgeschossen", lachte sie mich voller Freude an und gab mir einen satten Kuss auf die Stirn. Nachdem wir uns gegenseitig beteuert hatten, dass wir uns genau dieses Geschenk und nichts anderes von Herzen gewünscht hatten, schmückten wir bis drei Uhr morgens den Tannenbaum. Wieso die kleinen verdrahteten Kerzen schon Stunden vorher brannten, ohne dass sie eingesteckert waren, hatten wir nicht herausfinden können. Ein Weihnachtsmysterium, das uns in Erinnerung bleiben würde.

Nachdem wir uns die letzte Tiefkühlpizza mit viel Anchovis geteilt hatten, waren wir uns einig, dass wir noch nie solch schön-schaurige Weihnachten erlebt hatten und verabschiedeten uns um fünf Uhr in unsere Betten.

Endlich alleine, konnte ich meinen PC anwerfen und einen Frühbucherrabatt anmelden, den ich ursprünglich schon in diesem Jahr hatte in Anspruch nehmen wollen. Nur der Wäschetrockner und mein schlechtes Gewissen hatten mich an der Flucht vor den Familienweihnachten gehindert.

Am nächsten Tag wollte ich meiner Weihnachtsgans im Backofen den letzten Schliff geben, als das gute Stück sich mit einem großen Knall und vielen kleinen Feuerchen in der Küche verteilte. Natürlich war es meine Schuld gewesen, da ich ja ständig mit dem Herd kochen würde. Ich versprach, für einen neuen Herd zu sorgen, zog mich in mein Zimmer zurück, startete meinen Rechner und meldete meinen Winterurlaubsfrühbuchersonderrabatt für das kommende Jahr ab. Gut gelaunt, stellte ich die kalten, halbrohen Kartoffeln, den von den Kindern so lange entbehrten, von der noch funktionierenden Mikrowelle erhitzten Rotkohl und ein Glas Bockwürstchen auf den Esstisch und bat zu Tisch. Das musste ich meiner Familie lassen, abgesehen von den ungenießbaren Kartoffeln wurde mein Weihnachtsfestessen nicht bemängelt. Ich war froh darüber, eine dermaßen liebe- und rücksichtsvolle Gattin mein nennen zu dürfen, die auch noch die Mutter der besten Kinder war, die sich ein Vater wünschen konnte. Es war wohl dieses starke Gefühl der inneren Verbundenheit und meiner Liebe zu den Kindern und ihrer Mutter, die mich den entscheidenden Satz des Tages sagen ließen:

"Ich bin so froh, mit euch zusammen sein zu dürfen, dass ich mich heute schon auf das nächste Weihnachten freue."

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