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Dez
01
Weihnachtskrimis
Kriminelle Weihnachtsgeschichten
Lamettazauber
© Fernand Muller-Hornick

Wie ich Weihnachten hasse! Seit ich dreizehn Jahre war, hasse ich den Geruch von Plätzchen und gebratenen Äpfeln, diese Heuchelei von Dankbarkeit für unbrauchbare Geschenke. Für Mutter war Weihnachten immer das Fest der Feste, weder Ostern noch ein Geburtstag konnten mit diesem glückseligen Fest konkurrieren.

Bereits Anfang November begannen die Vorbereitungen. Zuerst wurde der Speicher entrümpelt und gefegt, anschließend die Schlafzimmer, das Wohnzimmer, die Küche. Der Keller machte den krönenden Abschluss. Das Christkind mag es nicht, wenn es über etwas stolpert und sich ein Bein bricht. Drei Tage vor Weihnachten wurden die Gardinen gewaschen und in Evidur getunkt, wegen dem aparten Geruch.

Als ich fünf Jahre alt war, hatte ich mich vor der Bescherung auf die Lauer gelegt um zu kontrollieren, ob das Christkind tatsächlich in die Schränke schaut, bevor es die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legt. Außer meinem Vater kam niemand in die Stube. Er riss alle Schranktüren auf und suchte nach einer Schnapsflasche. Mutter hatte nämlich die Gewohnheit, sämtliche Flaschen, die auch nur im Entferntesten nach Branntwein aussehen könnten, vor meinem Vater zu verstecken. Das war natürlich völliger Blödsinn. Vater hatte den zweiten Blick. Diesmal hatte Mutter die Flasche hinter zwei dicken Kochbüchern versteckt. Vater leerte die halbe Flasche in einem Zug, rülpste zufrieden, stellte die Flasche an ihren Platz zurück und verschwand grölend: "Ihr Kinderlein kommet …"

Zwei Tage vor dem Fest aller Feste wurden Plätzchen gebacken. Dabei aß niemand welche. Aber für Mutter war Weihnachten ohne Plätzchen wie für Vater ein Tag ohne Schnaps. Die Plätzchen wurde Mutter trotzdem immer wieder los. Jahr für Jahr wurden die Familienmitglieder damit beglückt, ob sie wollten oder nicht. Meistens wollten sie nicht.

Zu den Mitgliedern unserer Familie gehörten Tante Helga und Onkel Bert, das war die Schwester meiner Mutter mit ihrem Mann. Und Tante Olga und Onkel Franz, der Bruder meines Vaters mit seiner Frau. Und dann noch Tante Irmgard, die war bereits seit über zwanzig Jahren Witwe und trauerte ihrem Herbert immer noch nach, jedenfalls wenn sie eine ganze Flasche von Mutters Eierlikör geleert hatte. Und dann waren noch mein Vetter Mathias, der Sohn von Tante Helga und Onkel Bert, und Sieglinde, die Tochter von Tante Olga und Onkel Franz.

Sieglinde konnte ich überhaupt nicht leiden, weil sie immer wie eine Modepuppe gekleidet war. Mama meinte immer, ich möge mir ein Beispiel nehmen und auch solche schönen Kleider anziehen wie Sieglinde, anstatt immer nur in ausgewaschenen und zerfransten Hosen herumzulaufen.

Es gibt nichts Schlimmeres als Weihnachten. Manchmal hätte ich die ganze Familie am liebsten vergiftet. Angefangen bei meinen Eltern und endend bei Onkel Bert. War er endlich eingetroffen, meistens um zwei Stunden zu spät, wenn der Schweinebraten längst verbrannt und ausgetrocknet war, hockte er die ganze Zeit auf dem Sofa und bewunderte pausenlos das schöne Bäumchen, wie er sich auszudrücken pflegte. Vor allem die Lichtchen hatten es ihm angetan. War der Rest der Familie längst abgehauen und lag in warmen Betten, hockte der liebe Onkel Bert immer noch auf dem Sofa und konnte sich nicht satt sehen an den schönen Kügelchen und Lichtchen. Mutter konnte so viel gähnen, wie sie wollte, Vater schnarchte sowieso längst stockbesoffen, Onkel Kurt war auf dem Sofa angewachsen. Mitternacht längst vorbei, erhob er sich langsam.

"Wie es ist, Muttchen, fahren wir?"

Dann schaute Tante Helga immer verwundert auf die Uhr und meinte: "Mein Gott, schon so spät? Ich glaube, es wird langsam Zeit, dass wir uns auf den Weg machen."

Denkste! Onkel Bert nahm das langsam ernst. Er blieb sitzen, griff nach seinem Weinglas und nahm einen kleinen Schluck. Wein darf man nicht einfach so runterschlucken. Wein muss man genießen. Mein Vater hätte die Flasche in einem einzigen Zug geleert.

So gegen drei Uhr in der Nacht, oder vielleicht besser, in der Früh, saßen sie endlich im Auto, und weckten mit ihrem Hupkonzert die ganze Nachbarschaft nebst Hunden auf. Anschließend versuchte Mutter, Vater ins Bett zu bekommen, der wankte, "Ihr Kinderlein kommet" grölend ins Schlafzimmer, polterte noch eine gewisse Zeit herum, dann herrschte endlich Ruhe.

Mutter fand Weihnachten immer schön.

Die Plätzchen, die zu viel waren, weil niemand sie wollte, wurden anderntags verteilt. An Frau Weber, unsere Nachbarin, die war schon über siebzig Jahre alt und durfte eigentlich keine Süßigkeiten essen, wegen ihrer Diabetes. Aber die Plätzchen aß sie trotzdem. Bloß, dass sie anschließend für ein oder zwei Wochen ins Krankenhaus musste. Frau Kleinschmidt erhielt auch immer eine Tüte, obwohl sie selbst eine leidenschaftliche Plätzchenbäckerin war. Eine Tüte hielt Mutter immer für sich, zur Erinnerung an das schöne Fest.

Gott sei Dank lebten wir auf dem Land. So war es kein Problem, an Rattengift zu kommen. Der Mann von Frau Weber hatte vor einigen Jahren welches gekauft, weil die Biester bei ihnen durch den Kanal und die Abflussrohre bis ins Badezimmer kamen. Vater hatte ihm damals geholfen, die Viecher zu vergiften und bekam dafür eine Flasche Wodka. Er war zwar zwei Tage lang sturzbesoffen, aber die Ratten waren alle hinüber. Ich wusste, dass Frau Weber noch mindestens eine halbe Packung von diesen Körnern im Schuppen aufbewahrte. Sie hatte meinen Vater nämlich gebeten, das Zeug wegzuschaffen, bevor noch etwas passiert, aber ohne Schnaps war mein Vater nicht daran interessiert.

Mein erstes Versuchsobjekt war der Hund von Herrn Krüger. Bekanntlich haben Hunde die Angewohnheit, alles gierig hinunterzuschlucken, was der brave Hund von Herrn Krüger auch tat. Am anderen Morgen lag er mit aufgerissenem Maul und nach innen verdrehten Augen im Hof.

Wie viel Gift braucht ein Mensch? Wahrscheinlich kommt es auf das Körpergewicht an. Demnach versuchte ich es noch einmal, und zwar mit dem Schwein von Herrn Schöffling, das war der Großbauer im Dorf. Er hatte mindestens hundert Schweine, da dürfte es auf eines weniger kaum ankommen.

Das Schwein schleckerte die Milch gierig auf, kaum fünf Minuten später legte es sich auf die Seite, zuckte ein paarmal mit den Beinen und verschied. Wenn ich die Dosis um das Doppelte erhöhe, dürfte es für Mutter und den Rest dieser Scheißfamilie reichen. Meinem Vater habe ich übrigens eine Extraportion in die Schnapsflasche gefüllt. Leider hatte er noch zwei andere, die zuerst geleert werden wollten. Ich musste mich daher noch etwas gedulden.

Das aufgelöste Rattengift unter den Teig zu mischen war überhaupt kein Problem. Mutter war derart beschäftigt, dass sie alles um sich herum vergaß. Nun musste ich sie nur noch überreden, von den Plätzchen zu kosten, was ein kleines Problem darstellte. Mutter wusste nämlich, wie ihre Plätzchen schmecken, weil sie stets dasselbe Rezept benutzt und nicht zu probieren braucht.

"Ich glaube, da fehlt was drin." Der Trick klappte.

"Unmöglich, ich habe doch genau an das Rezept gehalten", meinte Mutter. Ein wenig verunsichert war sie schon. Genau in dem Augenblick, als sie eines der Plätzchen in den Mund stecken wollte, kam Frau Weber herein. Den Duft von Zimt und Anis inhalierend, war sie sofort begeistert und stopfte sich den Mund voll.

"Nun, wie schmecken sie? Sandra meint, es würde was fehlen, aber die hat ja sowieso keine Ahnung".

Mutter blickte gespannt auf Frau Weber. Ich natürlich auch, wegen dem fehlenden Etwas.

"Ich finde sie gut, vielleicht ein bisschen zu süß", meinte Frau Weber und probierte gleich noch drei weitere.

"Komisch", wunderte sich Mutter und versuchte dann doch ein Plätzchen, kaute bedächtig und ließ die Krümel langsam auf der Zunge zergehen.

"Wirklich zu süß. Aber Sandra hat doch bloß den Teig gerührt, ihr Fehler kann es demnach nicht sein."

Und dann geschah das Unfassbare. Noch bevor sich Frau Weber den Mund vollstopfen konnte, schmiss Mutter die Plätzchen in den Mülleimer.

"Schade drum, aber ich werde neue backen, so etwas kann man doch nicht einmal seinem ärgsten Feind zumuten", sagte Mutter und bedankte sich bei Frau Weber, weil sie sie vor der Blamage ihres Lebens bewahrt hatte.

Ich war am Boden zerschmettert. Die ganze Arbeit umsonst und Rattengift hatte ich auch keines mehr. Dass Mutter an den Plätzchen sterben könnte, schien mir ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Nicht einmal Frau Weber hatte irgendeine Reaktion gezeigt. Mir grauste bereits vor dem Weihnachtsfest, das kurz bevorstand.

Und so war es dann auch, oder fast. Es begann damit, dass Frau Weber zwei Tage nach dem Verzehr der Plätzchen starb. Der Arzt verweigerte die Ausstellung des Totenscheins. Bei der Obduktion fand man heraus, dass sie vergiftete Plätzchen gegessen hatte, worauf die Polizei eine Untersuchung einleitete. Hätte Mutter nicht im ganzen Dorf herumgejammert, ihre Plätzchen seien zu süß geraten, wäre die Polizei nie zu uns gekommen.

Genau am Tag der Bescherung klingelte die Polizei an der Tür. Vater öffnete, die Schnapsflasche in der Hand, "Ihr Kinderlein kommet" grölend.

Das war das Letzte, was er sagen konnte. Mit einem kurzen "Ähh" fiel er den Polizisten genau vor die Füße, zuckte einmal kurz mit den Beinen und entschwebte ins Himmelreich.

"Endlich ist der Saufbold verreckt, es hat also doch gewirkt", sagte Mutter erleichtert.

Die Polizei verhörte Mutter über zwei Stunden lang, dann gestand sie alles. Wieso sie etwas zugab, was sie nicht getan hat, ist mir bis heute unbegreiflich. Nach zwei Jahren Knast hat sie sich in der Zelle aufgehängt. Ich nehme an, weil sie Weihnachten nicht mehr richtig feiern konnte.

Heute stehe ich selbst in der Küche und backe Plätzchen. In zwei Tagen kommen nämlich mein Vetter Mathias und meine Kusine Sieglinde mit ihren ganzen Sippschaften, und Onkel Bert, der inzwischen Witwer ist, und Tante Olga, ebenfalls Witwe, und die freuen sich wahnsinnig auf meine Plätzchen. Das Rezept habe ich von meiner Mutter. Weihnachten hasse ich nach wie vor. Aber mein Mann möchte richtig feiern, mit allem Drumherum, wegen der Kinder, sagt er. Dabei ist er es, der auf dem ganzen Kitsch besteht. Bereits einen Monat vorher gerät er in eine kaum auszuhaltende Euphorie. Allein schon wegen diesem herrlichen, Feierlichkeit ausströmenden Duft, wie mein Mann sagt. Im Baumarkt habe ich mir eine Packung Rattengift besorgt. Es war ganz einfach.

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