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Weihnachtskrimi Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Nur Frieden

© Uta Lösken

"Endlich wieder weiße Weihnachten."

Friedhelm Boll schaute mit verträumtem Lächeln aus dem Wohnzimmerfenster in die Dämmerung. Dicke Flocken tanzten gemütlich aus den tief hängenden Wolken und zauberten die Welt der Einfamilienhäuser sauber und rein. Die Rhododendren in den Vorgärten schienen mit Sahnehäubchen verziert, die Wege versteckt unter Schneetüchern.

"Reine Ruhe", dachte Friedhelm. "So muss das sein am Tag vor Heiligabend."

Er schlurfte in seinen Pantoffeln über das Parkett zum Wohnzimmerschrank, öffnete das Barfach und nahm eine Flasche Portwein heraus. Ruby Red, fünf Jahre gelagert. Kein Spitzenprodukt, doch ein Genuss nach seinem Geschmack. Ein Weinglas stand auf dem Tisch neben dem Kaminofen. Er füllte es mit der dunkelroten Flüssigkeit, stellte die Flasche zurück in den Schrank und setzte sich in den Ohrensessel. Er fasste das Glas am Stiel und schwenke den Kelch liebevoll im Kreis. Schlieren glitzerten im Licht der Kaminflammen. Friedhelm hielt die Nase über das Glas und sog die Luft tief ein. Brombeeren mit einem Hauch von Trüffelschokolade. Behutsam nahm er einen Schluck, schloss die Augen und ließ die Flüssigkeit im Mund kreisen. Tropfen für Tropfen rann der Port seine Kehle hinab. Er spürte dem Geschmack eine Weile nach, ehe er das Glas wieder auf den kleinen Tisch setzte.

Im Kamin knackten die Holzscheite. Flammen tanzten über der Glut einen Weihnachtsreigen. Friedhelm summte leise "White Christmas" und streckte wohlig die Beine aus. Wie er die Hektik vor Weihnachten hasste. Die Menschen wurden schier verrückt, wenn das Jahr sich zum Ende neigte. Sie hetzten durch die Stadt, beladen mit Tüten und Taschen, quollen von Rolltreppen, aus Fahrstühlen, rempelten durch die Kaufhäuser. Ihre Mundwinkel schleiften dabei kurz über dem Boden, während aus den Lautsprechern "Stille Nacht, heilige Nacht" plärrte. Friedhelm schüttelte sich in seinem Sessel. Zur Entspannung trank er einen Schluck Portwein.

Ilse verbreitete ebenfalls Unruhe vor Weihnachten. Meist noch am Heiligabend selber räumte sie und putzte. Zweimal im Jahr schien ein Virus sie zu befallen, der keine Gegenwehr zuließ. Zu Ostern und zu Weihnachten wurde im Haus das Unterste zu oberst gekehrt. Vom Dachboden bis in den Keller zog sich eine Spur aus Putzlappen, Reinigungsmitteln, Besen und Staubsauger. Ilse, das Haar unter einem geblümten Kopftuch verborgen, kämpfte in Kittelschürze und Gummihandschuhen mit Staub, imaginären Spinnweben und Flecken aller Art.

Friedhelm hatte nie verstanden, warum sie gerade zu den Feiertagen so einen Aufstand machte. Das ganze Jahr über wischte sie regelmäßig und gründlich. Vor Weihnachten wurde ihre Putzwut besonders schlimm. Er konnte gehen, wohin er wollte, ständig war er im Weg. Ob er am Kamin saß oder in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch einen Brief für seinen alten Freund Guntram verfasste. Dauernd rief sie ihm Aufträge zu. "Hol mal die Leiter und staub die Bücher oben im Regal ab." oder "Klopf draußen den Teppich aus, und zwar kräftig." Ein Tonfall eines Feldwebels würdig, nur eine Oktave höher, mindestens. Wie konnte man sich da auf das Fest des Friedens einstimmen? Ein Schluck Portwein besänftigte Friedhelm.

Dieses Jahr war alles anders, Ilse auf den Tag genau zwölf Monate tot. Friedhelm überlegte, ob ein weiteres Glas Portwein angebracht wäre. Er stemmte sich ächzend aus dem Ohrensessel hoch. Den müsste er demnächst neu polstern lassen. Die Federn knackten bedenklich und der Stoff schimmerte auf Sitzfläche und Armlehnen fadenscheinig. Außerdem fand er das Blumenmuster abscheulich. Streifen. Er würde Streifen wählen, überlegte Friedhelm, während er sein Glas füllte.

"Auf dich, Ilse", prostete er stehend der Zimmerdecke zu. "Mögest du stets genug zu putzen haben dort, wo du jetzt bist."

Beinahe hätte er das Glas fallen lassen. Im Flur schellte die Türglocke grell und durchdringend, als sollte sie bis zu Ilse gehört werden. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. Fast achtzehn Uhr. Wer besuchte ihn um diese Zeit? Ein Blick in den Spiegel an der Flurgarderobe, ein Blick durch den Türspion. Friedhelm streckte seine Schultern, wischte mit der linken Hand über die kurz geschnittenen grauen Haare und öffnete abrupt die Tür.

"Guten Abend, Frau Wagenknecht", begrüßte er die Witwe aus dem Haus schräg gegenüber.

Gerda Wagenknecht zuckte unmerklich zurück, dann streckte sie die Arme vor. Friedhelm musterte die hellblaue Schüssel in ihren Händen. Er hasste diese amerikanischen Plastikdinger.

"Guten Abend, Herr Boll." Gerda lächelte breit und Friedhelms Blick blieb am Lippenstift auf ihren Schneidezähnen hängen.

"Magenta", durchfuhr es ihn.

"Ich habe Ihnen meinen Kartoffelsalat mitgebracht", pries Gerda ihre Schüssel an und streckte die Arme ein Stück weiter vor.

Friedhelm machte einen Schritt nach hinten in den Hausflur.

Gerda Wagenknecht rückte sofort nach. "Ich komme gerne herein, danke, aber nur kurz. Wirklich nur ganz kurz."

Sie drängte an Friedhelm vorbei, war mit wenigen entschlossenen Schritten im Wohnzimmer. Friedhelm Boll schloss den Mund und die Tür und folgte ihr.

"Sie haben es ja richtig gemütlich mit dem Kaminfeuer", sagte Gerda, während sie sich auf das Sofa plumpsen ließ. Die Schüssel mit dem Salat hatte sie im Vorübergehen auf dem Esstisch abgestellt.

"Ich dachte mir, schau mal bei dem armen Herrn Boll vorbei. So ganz alleine an Weihnachten."

Friedhelm nutzte den Moment, in dem sie Luft holte, für eine höfliche Frage. "Kann ich Ihnen eine Kleinigkeit anbieten? Einen Portwein vielleicht?"

Gerda nickte strahlend und ihre blondierten Löckchen wippten wie ein Wischmopp.

Friedhelm holte ein zweites Glas aus der Vitrine und schenkte Gerda und sich Portwein ein. Warum konnte er seine gute Erziehung nicht mal bei einer solchen Nervensäge vergessen.

Gerda nippte und kicherte verschämt. "Sonst trinke ich ja keinen Alkohol. Also ganz, ganz selten."

Wer's glaubte.

"Ist heute nicht der Todestag Ihrer Frau?"

Friedhelm nickte.

"Ein Jahr, nicht wahr? Ein Jahr ist sie jetzt nicht mehr bei uns."

Wieso sagte sie nicht einfach "tot", dachte Friedhelm.

"Und Sie so ganz allein in diesem Haus."

Gerda Wagenknecht beugte sich vor und tätschelte Friedhelms Unterarm, als wäre er ein zarter Hefeteig.

"Das muss schlimm gewesen sein, die eigene Frau mausetot zu finden. Sozusagen unter dem Christbaum."

Friedhelm nickte wieder stumm und trank vom Portwein. Wohlige Wärme breitete sich in Friedhelms Magen aus. Vor dem Fenster wehte inzwischen eine feine Schneegardine.

Gerdas Stimme schien von weit her zu kommen. "... seit langem mit dem Herzen. Wenn wir uns beim Bäcker oder beim Friseur trafen, hat sie oft geklagt, sie sei so kurzatmig, das Herz schlage ihr zum Hals heraus. Sie hat sich wohl einfach zu viel zugemutet."

Friedhelm nahm einen großen Schluck. Die Herzkrankheit seiner Ilse war überall bekannt gewesen, was er als sehr nützlich empfunden hatte. Der Arzt kam, murmelte "Herzschlag" und stellte den Totenschein aus. Keine Zweifel, keine Fragen, reichlich Beileidswünsche.

Gerdas Stimme drang durch den Portweinnebel in seinem Gehirn und ließ Alarmglocken schrillen. "... auch so allein. Wir könnten Weihnachten zusammen feiern. Was meinen Sie?"

Friedhelm konnte knapp ein entsetztes "Nein!" herunterschlucken. Verzweifelt forschte er in seinem Kopf nach einer Ausrede. Er fand keine. "Frau Wagenknecht, ich kann nicht", flüsterte er.

Gerda schien damit fürs Erste zufrieden zu sein, sie lächelte verständnisvoll. Friedhelm starrte auf den Lippenstift, der immer noch die Schneidezähne grellrosa färbte.

Ilse trug blasses Apricot. Dezent bis zur Unscheinbarkeit. Wenn ihr Putzfimmel ihn bloß nicht bis an den Rand des Wahnsinns getrieben hätte.

Es war so einfach. Er hatte keine drei Minuten gebraucht, um bei der Lampe Schutzleiter und Phase zu vertauschen. Sicherung aus, ein bisschen herumgeschraubt, Sicherung an. Ilse überzog oben im Schlafzimmer die Betten. Er rief ihr zu, dass er seinen täglichen Spaziergang machen wollte, und verließ das Haus. Nicht lange und sie würde die Glaskuppeln und die Messingschirme der Wohnzimmerlampe mit einem feuchten Lappen abwischen.

"Ich glaube, ich gehe jetzt", hörte er Gerda Wagenknecht sagen. "Lassen Sie sich den Kartoffelsalat schmecken. Ich kann ja morgen vorbei kommen und die Tupperschüssel abholen."

Morgen? Sie wollte ihn gleich morgen erneut überfallen? Die Frau wurde zur Landplage. Nach Ilses Tod hatte sie ihn zuerst zweimal im Monat heimgesucht. Dann steigerte sie die Frequenz langsam aber sicher und jetzt das. Friedhelm fühlte sich wie die Fliege im Netz der hungrigen Spinne.

"Bitte, Frau Wagenknecht, keine Umstände. Ich stelle Ihnen die Schale vor Ihre Haustür."

Sollte das schiefe Grinsen etwa ein verführerisches Lächeln darstellen? Innerlich schauderte Friedhelm Boll. Er kniff die Lippen zusammen und stand auf. Er nahm zwei Holzscheite aus dem Weidenkorb und fütterte das Feuer.

"Wenn Sie mögen, kann ich Ihnen ein paar selbstgebackene Plätzchen bringen."

Die Frau gab nicht so schnell auf. Sie war schon wieder neben ihm und strich über seinen Arm.

"Die sind natürlich ohne Nüsse. Sie wissen ja, wie allergisch ich bin."

Friedhelm nickte und dirigierte Gerda durch den Flur. Er hasste ihre Tiraden, bei denen sie nie Luft zu holen schien. Sie hätte nicht mehr atmen können, die Luftröhre zugeschwollen, wäre um ein Haar gestorben. Sie hatte sich an den fetten Hals gegriffen und bei ihren Worten gekeucht.

Friedhelm lächelte, als er die Tür hinter Gerda Wagenknecht schloss. Er würde eine Möglichkeit finden, Gerda Wagenknecht eine Freude zu bereiten. Eine endgültige.

***

Eingereicht am 10. April 2007
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