Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Weihnachten 2050

© Maren Frank

Es war Abend an Bord des Raumschiffes Shining Star. Captain Jason Porter befand sich in seinem Quartier, zusammen mit Desiree Dexter, die seine Steuerfrau und Geliebte war.

Er war gerade dabei Des die Uniform von den schmalen Schultern zu streifen, als sie seine Hand abfing. "Übermorgen ist Heiligabend."

Jason runzelte die Stirn. "Ja - und?"

"Ich dachte, wir könnten das irgendwie feiern …"

"Des, die Mannschaft ist froh, am Leben zu sein."

Der Angriff der Ruffater hätte sie alle um ein Haar pulverisiert. Die Shining Star flog mit einem nur notdürftig reparierten Antrieb und beschädigten Sonnensegeln. Auch wenn der Mannschaft außer dem einen oder anderen blauen Fleck nichts passiert war, steckte ihnen der Schrecken noch in den Knochen.

"Gerade deshalb, Jason." Sie sah ihn ernst an und er versank in den Tiefen ihrer hellblauen Augen. "Wir hätten einander beinahe verloren."

Er drückte sie fest an sich. Des war seine große Liebe und mehr noch, sie, die nie daran gedacht hatte, die Erde zu verlassen, war aus Liebe zu ihm mit an Bord der Shining Star gegangen. "Du hast Recht, wir sollten Weihnachten nicht ignorieren. Aber was, wenn wir feststellen, dass die Mehrzahl unserer Mannschaft gar nicht feiert?"

"Sie werden sich trotzdem freuen, da bin ich ganz sicher."

"Weihnachten?" Prof. Dr. Dr. Lionel Green spie das Wort geradezu aus.

Die schräg vor ihm stehende Bordärztin Philomena Jackson lächelte milde. "Ein christliches Fest, das in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember gefeiert wird. Die Geburt Jesu liegt dieser Feierlichkeit zugrunde."

"Ich weiß was das ist", knurrte er und bedachte die riesige Afro-Amerikanerin mit einem finsteren Blick.

"Ich fände es schön, wenn wir alle zusammen Weihnachten feiern würden", schaltete sich Kimberly Johnson, Philomenas Assistentin ein.

Lionel stieß die Luft durch die Nase aus. "Diesen Humbug hatten wir auf der Erde doch schon zu Genüge, ich dachte, dass man im Waltraum davon verschont würde."

"Ach Lionel." Kimberly fing seinen Blick ein. "Weihnachten war für mich immer die schönste Zeit. Schon als Kind habe ich mich bereits im Januar aufs nächste Weihnachten gefreut."

"Du hattest ja auch sicher viel zu feiern", versetzte er bissig.

Als sie zusammenzuckte, bereute er seine Worte. Es war unfair, Kimberly an ihre traurige Vergangenheit zu erinnern.

Neben ihr stand Philomena und schüttelte den Kopf. Sie sah ihn an wie eine Mutter, die gerade ihrem ungezogenen Sohn eine Strafpredigt hält. "Weihnachten ist auch das Fest der Liebe", bemerkte die Ärztin spitz.

Kimberlys Wangen färbten sich rot und sie sah zu Boden.

Mit einem Grmpf verließ Lionel das Labor. Sollten sie doch ihr Weihnachten planen, wenn sie Spaß daran hatten. Hauptsache, sie ließen ihn damit in Ruhe.

"Meinst du, er beruhigt sich wieder?" Kimberly sah ihre Vorgesetzte und Vertraute an.

"Natürlich tut er das." Philomena ging an ihr vorbei und holte aus dem Automaten Kaffee für sie beide. "Ob er allerdings an unserer Feier teilnehmen wird …"

Kimberly starrte in ihren Kaffee. Über ein halbes Jahr war es her, dass sie die Erde verlassen und losgeflogen waren, um fremde Welten zu entdecken. Der Funkkontakt zur Erde war bereits vor mehr als drei Monaten abgebrochen. Sie waren nun zu weit entfernt, um ihn halten zu können. Alle vier Wochen sendeten sie eine Sonde mit den neuesten Forschungsergebnissen und Berichten aus, in der Hoffnung, sie würde auf der Erde ankommen.

"Und es wird eine ganz andere Art Feier werden", fuhr Philomena fort. "Im Weltraum gibt es nun mal keine Tannenbäume. Oder Mistelzweige."

"Des wollte etwas vorbereiten. Sie ist geschickt in solchen Sachen."

"Dann schau doch, ob du ihr helfen kannst."

"Das mache ich." Kimberly stürzte ihren Kaffee herunter und lief los.

Sie fand die Steuerfrau in einem der Lagerräume. Des sah auf und lächelte ihr zu. Vor ihr auf dem Tisch lagen silberne Sterne, ausgeschnitten aus dünnen Metallplatten.

Kimberly nahm einen der Sterne hoch. Das Deckenlicht reflektierte auf ihm.

"Wow, das ist ja eine tolle Idee."

"Ich hab noch mehr Ideen auf Lager." Des zog weitere Metallplatten heran. Eine davon war sehr groß und dunkelgrün. "Das gibt unseren Weihnachtsbaum. Zwar nur zweidimensional, aber besser als gar nichts. Und was zum Dranhängen finde ich sicher auch."

Kimberly setzte sich zu ihr und ließ sich unterweisen. Nach einigen Minuten glitten zischend die Türen auseinander und Chandra DeAngelis und Liberty Mallory traten ein. Chandra summte "The First Noel", während sie sich zu ihnen setzte. Liberty stellte ein Tablett ab. Dampf und ein köstlicher Geruch stieg von den Bechern auf.

"Glühwein", erklärte sie. "Ich habe den Computer programmiert, probiert mal, ob es echtem Glühwein nahe kommt. Oh und in der Musikdatenbank habe ich eine ganze Reihe von Weihnachtssongs gefunden." Sie zog einen Chip aus der Tasche ihrer Uniformhose und legte ihn ebenfalls auf den Tisch.

"Wunderbar", freute sich Des. Ihre Augen leuchteten. "Das wird ein unvergessliches Weihnachten."

Neben den Weihnachtsvorbereitungen stand jedoch auch am 24. Dezember die übliche Arbeit an. Für Liberty bedeutete das die Reparatur des Raumschiffs. Unterstützung hatte sie dabei durch Ray Underwood und Lionel Greene. Letzterer war zwar kein Techniker, hatte diesen Ort aber gewählt, um Ruhe zu haben. Der stets mit dem Geist in anderen Sphären schwebende Ray ging ihm zwar auch auf die Nerven, doch nicht so sehr wie die Weihnachtsvorbereitungen.

Ohne Vorwarnung wurde das Raumschiff plötzlich durchgeschüttelt. Ray krachte gegen die Wand, Liberty rollte sich zu einer Kugel zusammen und Lionel klammerte sich an eine der Querverstrebungen.

Nach wenigen Sekunden war der Spuk vorbei.

"Was war das?" Liberty richtete sich auf. Lionel war bereits bei Ray, der reglos am Boden lag.

Im nächsten Augenblick ging der Alarm los. "Angriff!", tönte die Stimme des Captains durch die Lautsprecher.

Die Ruffater, schoss es Liberty durch den Kopf. Sie sah zu Lionel, der neben Ray kniete. "Ist er schwer verletzt?"

"Ich glaube nicht. Aber ich würde ihn lieber auf die Krankenstation bringen."

Während eines Alarmzustands durften die Lifte nicht benutzt werden. Aber wenn das kriegerische außerirdische Volk sie abschoss, was nützten da die Vorschriften? Nein, nicht dran denken, befahl sich Liberty und behielt die Anzeigen des Antriebs im Auge.

Auf der Brücke hatte Captain Porter sich von seinem Sessel erhoben und starrte auf den Sichtschirm. Drei Gleiter der Ruffater präsentierten sich bedrohlich nah. Er drückte einen Knopf an der Wand. "Underwood sofort zur Brücke." Nicht, dass er glaubte, der Linguist würde einen plötzlichen Frieden bewirken. Aber einen Versuch war es wert.

Doch nur Chandra antwortete nach angespannten Sekunden der Stille auf seinen Ruf. "Captain, Underwood ist bewusstlos."

"Verdammt." Des hatte sich zu ihm umgedreht und er fing ihren Blick auf. Der Captain in ihm behielt die Oberhand über den liebenden Mann, der seine Frau in die Arme nehmen wollte.

"Capatin, sie senden uns eine Botschaft", meldete Chandra.

Ihre schlanken Finger flogen über die Kontrollen. Auf dem Bildschirm erschienen fremdartige Zeichen. Das Computerprogramm, das Ray mit Hilfe von Liberty entwickelt hatte, begann seine Arbeit und wandelte die Zeichen in für die Menschen lesbare um. Doch Ray war es nur ansatzweise gelungen, die Sprache der Ruffater zu entschlüsseln und entsprechend wenig Sinn ergaben die Worte.

Lionel lehnte sich an die Wand und schloss für einen Moment die Augen. Liberty konnte seine Hilfe nicht brauchen, in dem Bereich, in dem sie nun am Antrieb arbeitete, war nur für eine einzelne Person Platz. Und Ray lag bewusstlos neben ihm, aber soweit Lionel das ohne ein einziges Instrument zur Hand zu haben, beurteilen konnte, war er stabil.

Seit der Angriffsmeldung war etwa eine Viertelstunde vergangen. Es waren keine weiteren Durchsagen erfolgt, aber zumindest auch keine Erschütterungen des Schiffes. Lionels Blick wanderte zum Sprechgerät. Es war nur einen großen Schritt von ihm entfernt an der Wand angebracht, doch über der Tür blinkte weiterhin der Alarm. Sich einfach nur melden wollen, um zu hören, ob die anderen noch lebten, war in diesem Zustand verboten. Liberty hatte gesagt, dass Underwood bewusstlos war, also würde der Captain ihnen Hilfe schicken, sobald es möglich war.

Er dachte an Kimberly und fühlte einen Stich in seinem Herzen. Wenn er sie nur sehen könnte. Mehr wollte er gar nicht, nur sehen, ob sie lebte, unverletzt war. Einmal in ihre grauen Augen schauen und vielleicht, nur vielleicht, ihren zierlichen Körper kurz an sich drücken.

Chandra wurde nicht schlau aus den Zeichen auf dem Sichtschirm. Sie tippte ein, was der Captain ihr diktierte und hoffte, das Übersetzungsprogramm würde daraus etwas für die Ruffater verständliches kreieren.

Des stand von ihrer Steuerkonsole auf und reichte Chandra einen Chip. "Versuch den mal dazu zu nehmen. Liberty hat gesagt, dass sie das Programm neu geupdatet hat. Ray hatte doch einige weitere Wörter entschlüsselt."

Chandra legte den Chip ein und aktivierte ihn. Die Melodie von Adeste fideles ertönte und ein Sänger schmetterte im schönsten Tenor den lateinischen Text.

Schrecken in den hellblauen Augen murmelte Des Worte der Entschuldigung. Chandras Mund klappte auf und Jason griff sich resignierend an die Stirn. Nun war alles verloren.

"En grege relicto, humiles ad cunas", erklang es aus dem Lautsprecher.

Ungehindert übertrug der Computer weiter die Musikdatei, ließ die weihnachtlichen Klänge nun auch die Brücke des feindlichen Gleiters erfüllen.

"Venite adoremus, venite adoremus", schmetterte der Tenor.

Das Lied verklang und als nächste Musikdatei hatte Liberty "Mary's Boy Child" ausgewählt, vorgetragen von einer warmen Frauenstimme.

Chandra stoppte nicht und auch Jason gab keinen Befehl dazu. Wozu auch, die Ruffater würden sie jeden Moment pulverisieren.

Das Lied war fast zu Ende, da kam ein Ruf herein. Chandra drehte sich zu ihrem Captain.

"Legen Sie es auf den Schirm", wies Jason an.

Die zerstückelte Übersetzung erschien: "Errichten … Dank … Klänge … froh … Reise."

"Was bedeutet das?", fragte Des.

"Ich habe keine Ahnung", murmelte Jason.

Dann geschah das Wunder. Die drei Gleiter drehten ab.

"Captain!", rief Chandra.

Rote Flecken zeigten sich auf ihrem Gesicht.

"Ich sehe es, Commander, ich sehe es." Jason war näher an den Schirm herangetreten.

"Das war die Musik! Bestimmt sind sie deshalb so friedlich abgezogen." Des strahlte und lief zu Jason. "Was ein Glück, dass ich die Chips verwechselt habe. Jetzt können wir Weihnachten feiern."

Der bereits geschmückte Aufenthaltsraum hatte keinen Schaden genommen. Nur einige Silbersterne waren zu Boden gefallen, doch sie erneut aufzuhängen war eine Kleinigkeit für Des.

Am Buffet stand Ray, der noch ein bisschen blass, aber ansonsten ganz munter war.

"Sie sollten vorsichtig mit dem Glühwein sein", bemerkte Philomena.

"Wieso? Kopfschmerzen habe ich bereits und wenn ich trinke, habe ich wenigstens was davon gehabt", sagte er und fühlte seinen Becher nach.

Chandra und Liberty fütterten sich gegenseitig mit Plätzchen, Des hielt die Arme um Jason geschlungen. Philomena dimmte das Licht.

Sie räusperte sich einmal, dann begann sie zu singen. "O holy night", erklang ihre warme, tiefe Stimme.

Kimberly sah zu Lionel, der zu ihrer Überraschung und großer Freude doch gekommen war. Doch er schien sich ein wenig unbehaglich in dieser Umgebung zu fühlen.

Er fing ihren Blick auf und trat zu ihr. Statt der üblichen Uniform trug er Freizeitkleidung, eine schwarze Hose und ein weißes Hemd mit einer schwarzen Weste darüber. Seine Schultern waren breit und weckten in Kimberly den Wunsch, sich an ihn zu lehnen. Sie war so froh, dass sie den Angriff alle unbeschadet überlebt hatten.

"O night divine, O night when Christ was born!", tönte Philomenas dunkle Stimme durch den Raum und verursachte eine leichte Gänsehaut auf Kimberlys Unterarmen. Das in Verbindung mit Lionels Nähe ließ ihre Knie weich werden.

Lionel legte einen Arm um ihre Schultern und Kimberly nutzte die Gelegenheit, eng an ihn zu rücken. Er legte auch seinen anderen Arm um sie. Kimberly schmiegte sich eng an ihn, während sie weiter zuhörte.

Das Licht ging wieder an, als die letzten Takte verklungen waren.

"Frohe Weihnachten", flüsterte Lionel und sein warmer Atem streifte ihre Schläfe.

Kimberly blickte zu ihm hoch und bemerkte dabei die Bildschirmanzeige über der Wand. "Da ist ja ein Mistelzweig."

"Ich weiß, ich habe ihn ja selbst programmiert", erklärte er.

"Lionel …" Ihr fehlten die Worte.

"He, einen Mistelzweig zu programmieren ist wirklich nichts Großartiges. Also bitte keine Lobeshymnen. Die gebühren wenn nur Miss Dexter."

"Ach Lionel, darum geht es doch nicht. Aber du weißt, dass unter einem Mistelzweig stehen …" Hitze schoss ihr in die Wangen und ihr Herz schaltete in einen schnelleren Takt um.

"Deswegen ist er da."

Seine schlichte Antwort ließ Kimberly innerlich jubeln. Sie schlang die Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen. Lionel neigte den Kopf, und ihre Lippen trafen sich. Von Glück erfüllt schmiegte Kimberly sich an ihn und genoss den Rausch, der in ihrem Kopf entstand.

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