Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Weißt du wie viel Sternlein stehen ...

© Regina Gotsmich

"Bitte Pauli, komm doch mit", bettelte Anne ihren Bruder an.

"Nein, ich mag nicht - geh doch allein! Immer fragst du mich, frag doch wen anderen, wenn du dich nicht alleine traust!", motzte Pauli seine Schwester an.

"Warte, wenn du erst wieder dran bist mit Milch holen, dann geh ich auch nicht mit dir mit. Dann werden wir ja sehen ob du dich alleine traust, in dieser Dunkelheit!"

Das schien zu wirken. Widerwillig maulte Pauli: "Na gut, aber morgen gehst du auch mit mir mit!"

Erleichtert und zufrieden zogen sich beide ihre warmen Jacken und die Stiefel an. Es war der Tag vor Heiligabend und etwas Besonderes lag in der Luft. Die Familie wohnte in einem kleinen Dorf am Waldesrand und wie jeden Tag musste eines der sieben Kinder die Milch vom Bauern holen. Die Eltern arbeiteten beide bis zum Abend und so mussten die Kinder mithelfen, wo immer es nur ging. Pauli und Anne waren die Jüngsten der sieben Geschwister und bekamen die leichtesten Arbeiten übertragen. Pauli war fünf Jahre alt und Anne sechseinhalb. Aber für Pauli und Anne war es überhaupt nicht einfach, die Milch holen zu gehen. Es war immer schon finster wenn die beiden losmarschieren mussten. Denn der Bauer melkte seine Kühe täglich um 17.00 Uhr abends. Und täglich um 18.00 Uhr abends war es wieder so weit für Anne und Pauli, um sich auf den Weg zu machen.

Anne öffnete die knarrende, schwere Holztüre. Die Türschnalle war aus Metall und wie immer eisig kalt. Wäre sie nicht aus Metall, sondern aus Holz, dann würde sie die Kälte nicht so furchtbar schnell aufnehmen. Anne ballte ihre Finger zu einer Faust, um sie wieder aufzuwärmen und steckte sie in die Jackentaschen.

"Pauli, mach die Tür zu!" mahnte Anne ihren Bruder.

"Mach du sie doch selbst zu, du hast sie ja auch aufgemacht!" trotzte Pauli seiner Schwester.

Mit einem deutlich hörbaren Murren nahm Anne nun die Finger wieder aus der Taschen und schloss die Tür. An der Außenseite war die Türklinke sogar so kalt, dass Anne fast mit ihrer Hand daran kleben blieb.

"Dann nimm du die Milchkanne" zischte Anne Pauli an, und steckte schnell ihre Hand wieder in die Jackentasche.

Es war bitterkalt diesen Abend und der Schnee knirschte unter ihren Füßen, als sie sich auf den Weg machten. Der Mond war gerade über dem Hügel aufgegangen und der Schnee glitzerte in seinem Antlitz, und es sah aus, als lägen Tausende von Diamanten dort oben. Den Kindern wurde es ganz warm ums Herz und sie gingen schweigend nebeneinander einher. Der Bauer war nicht weit weg, nur ungefähr zehn Minuten Fußmarsch. Gerade nur ein Stückchen die Landstraße entlang. Aber in der Dunkelheit kam es Anne und Pauli so vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, bis sie wieder zu Hause waren.

Die beiden hatten keine Taschenlampe. Nur die Sterne und der Mond über ihnen beleuchtete ihnen schwach den Weg. Plötzlich knarrte es ganz leise im Gebüsch neben der Straße. Anne und Pauli fuhren vor Schreck zusammen, und reichten einander automatisch die Hände. So fühlten sie sich viel sicherer, und weniger alleine.

"Was war das?" fragte Pauli verängstigt.

"Hm, nur ein kleiner Hase, der sich erschreckt hat" antwortete Anne tapfer. Sie war ja schließlich die Ältere und konnte nicht zugeben, dass sie vor Angst genauso zitterte wie Pauli.

Sie wurden immer schneller und der Schreck von vorhin saß ihnen noch in den Gliedern.

"Sag mal, was wünscht du dir zu Weihnachten?" versuchte Anne sich und Pauli auf andere Gedanken zu bringen.

"Oh, ich wünsche mir zu Weihnachten ein rotes Auto, so eines, das mein Freund Markus auch hat. Sag mal, glaubst du, dass es das Christkind wirklich gibt?" fragte Pauli.

"Ich glaub schon, Mama und Papa könnten all die Sachen für uns ja gar nicht bezahlen."

"Stimmt", antwortete Pauli überzeugt, "sieben Kinder, das wären einfach zu viele. "Und was wünscht du dir?"

"Ach, ich hätte so gerne eine Puppe, die so groß ist wie ich und tanzen kann wie eine Prima Ballerina. Dann könnte ich alles von ihr lernen und könnte auch Prima Ballerina werden."

"So was gibt es doch gar nicht" sagte Pauli.

"Doch, ich hab mal eine so Ähnliche im Fernsehen gesehen."

"Echt?" - wunderte sich Pauli.

"Ja, aber ich freue mich auch über einen neuen Pullover oder neue, warme Winterstiefel."

Das Bauernhaus rückte in sichtbare Nähe und in den Fenstern konnte man schon deutlich Licht erkennen. Anne und Paul fixierten mit ihren Augen die Lichter und marschierten geradewegs darauf zu. Mittlerweile bekamen sie auch schon kalte Zehen in den nicht sonderlich warmen Stiefeln. Für neue Stiefel reichte das Geld der Familie leider nicht aus. So mussten die jüngeren Kinder stets die abgetragenen Sachen der älteren Geschwister aufbrauchen. Und erst, wenn die Sachen völlig unbrauchbar waren, gab es neue.

Endlich erreichten Anne und Pauli die große Zufahrt des Bauernhauses. Sie fühlten sich in Sicherheit und ließen die Hände wieder los. Anne klopfte an der Haustür.

Die alte Bäuerin öffnete und ließ die beiden Kinder eintreten. "Ach, da seid ihr ja" bemerkte sie nur kurz und griff gleich nach einer bereits vorbereiteten vollen Milchkanne für die Kinder.

"Grüß Gott", grüßten Anne und Pauli höflich. Oft genug haben ihnen die Eltern eingebläut, wie wichtig und unerlässlich es ist zu grüßen. "Über unhöfliche Kinder wird im Dorf geredet und wehe euch, wir hören dass eines unserer Kinder nicht laut und deutlich grüßen kann!" hörten sie bei jedem Gruß, den sie aussprachen, ihre Eltern mahnen. Und besonders so kurz vor Weihnachten, wollten sie auf keinen Fall durch schlechte Manieren auffallen. Wer weiß, zum Schluss erfährt das Christkind noch davon und überlegt sich das mit den Geschenken, dachte Anne leise vor sich hin.

"Habt ihr euch gefürchtet auf dem Weg hierher?", fragte die Bäuerin, während sie Anne die volle Milchkanne überreichte und als Tausch dafür die leere Milchkanne, die Pauli ihr hinhielt, entgegen nahm.

"Nein, nicht so", sagte Pauli ein wenig vorlaut.

In dem Bauernhaus roch es stark nach Stall und frisch gekochtem Schweinefett, nach Gummistiefel und nach Männerschweiß. Anne und Pauli versuchten bei jedem Besuch so lange wie möglich die Luft anzuhalten, um nicht zu viel dieses Gestankes, einatmen zu müssen. Aus diesem Grund ließen sich Anne und Pauli auch nicht sonderlich gerne auf ein ausführlicheres Geplauder ein.

Die dicke Bäuerin watschelte ein wenig schwerfällig in Richtung Küche und hieß Anne und Pauli noch kurz warten. Als sie zurückkam, reichte sie den Kindern ein kleines Säckchen mit den Worten: "Hier, da habt ihr jeder ein Stück Lebkuchen für den Nachhauseweg, und richtet euren Eltern aus, dass das Milchgeld für die letzte Woche noch aussteht", trug sie ihnen noch auf.

Anne zog Pauli am Ärmel zur Tür hinaus. "Komm schon, wir gehen", flüsterte sie ihm zu.

Beide Kinder packten das Stück Lebkuchen in ihre Jackentaschen, denn von dem Geruch in dem Bauernhaus wurde es ihnen stets leicht übel. Sie konnten unmöglich den Lebkuchen genießen, geschweige denn seinen Duft riechen. Ihre Nasen speicherten den Geruch des Bauernhauses jedes Mal fast bis sie wieder zu Hause ankamen.

Als sich das Bauernhaus wieder mit jedem Schritt weiter entfernte, seufzte Anne leicht auf. "O.k., wie wäre es, wenn wir ein Lied singen?", fragte sie Pauli, der schon wieder ängstlich ein Stück näher gerückt war, und Anne schon beinahe von der Straße drängte. Der Nachhauseweg erwies sich immer viel schwieriger als der Weg zum Bauernhaus. Vorher hatten sie die Fenster des Bauernhauses, die ihnen in freundlichem Licht entgegenschienen vor Augen. Aber auf dem Rückweg lag das Licht hinter ihnen und vor ihnen war nur die Straße und die Bäume und Sträucher links und rechts neben der Straße. Durch den hellen Schein des Mondes konnte man zwar die Konturen der Landschaft ringsum ein wenig erkennen, aber die Bäume und Sträucher warfen in diesem fahlen Schein ganz sonderbare und beängstigende Schatten. Anne und Pauli starrten geradewegs die Straße entlang und versuchten so wenig wie möglich nach links und rechts zu sehen, damit die Schatten sie nicht ängstigen konnten.

Da hörten sie ein Knarren ganz nah vor ihnen im Gebüsch und plötzlich sprang eine schwarze Katze aus dem Dickicht. Sie schrie und miaute so fürchterlich laut, dass Anne und Paul vor Schreck zusammenfuhren als ginge es um ihr Leben. Und mit ein oder zwei Sprüngen hastete die Katze über den Weg. Ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit grün-gelb und waren geradezu furchteinflößend. Pauli und Anne schrien vor lauter Schreck laut los. Sie umarmten einander und ihr Herz schlug ihnen bis zum Hals. "Anne!" - schrie Pauli - "Hilf mir!" Anne musste allen Mut zusammen nehmen und stark sein. "Ich bin ja da, es war nur eine Katze, die hat sich ebenso erschreckt wie wir" stammelte sie. "Komm, sie ist weg. Pass auf Pauli, sonst verschütten wir noch die ganze Milch. Siehst du, nichts ist mehr zu hören. Komm, wir singen, weißt du wie viel Sternlein stehen." Und gemeinsam setzten sie in das Lied ein: "Weißt du wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt. Weißt du wie viel Wolken gehen weithin über alle Welt. Gott der Herr hat sie gezählet, dass ihm auch nicht eines fehlet, la la lalala, la la lalala ..."

"Anne!", schrie Pauli erneut auf.

"Was ist denn Pauli?"

"Anne, sieh nur eine Sternschnuppe, dort oben!"

"Oh, ja", freute sich Anne. "Ich sag dir Pauli das war das Christkind, es hat uns eben singen gehört und sich so gefreut darüber, dass es sehen wollte, wer da singt!"

"Glaubst du wirklich, Anne?", strahlte Pauli seine Schwester an.

"Ja, ganz bestimmt. Komm wir singen ganz laut, bis wir zu Hause sind. Das Christkind hört uns sicher immer noch zu."

Hand in Hand und laut singend marschierten die beiden, wieder frohen Mutes, bis sie zu Hause ankamen. Schnell drückte Anne die Klinke hinunter, stieß die Tür auf und lief kreischend durch den Flur in die Küche. Pauli war ihr dicht auf den Fersen und beide riefen aus vollem Halse: "Wir haben das Christkind gesehen! Wir haben das Christkind gesehen!"

Und da geschah es. Pauli trat in seiner Aufregung Anne auf die Ferse und Anne fiel hin.

"Aua!", schrie Anne.

Und auch Pauli konnte das Gleichgewicht durch den ungeschickten Fehltritt nicht mehr halten und fiel ebenfalls.

"Anne, die Milch!", rief Pauli, aber da war es schon zu spät. Anne konnte, durch ihren Sturz auf die Milchkanne keine Rücksicht mehr nehmen. Die Milchkanne kippte und die ganze Milch ergoss sich über den Fußboden.

"Anne! Paul!", stießen die Eltern erschrocken aus. "Was ist denn hier los?!"

Anne und Pauli waren den Tränen nahe. So ein Unglück! Nun saßen sie auf dem Fußboden, die verschüttete Milch lief wie in kleinen Bächen auseinander. Maria, die "große" Schwester eilte bereits mit Kübel und Lappen zu Hilfe. Tröstende Worte der Eltern konnten sie gerade noch davon überzeugen, dass das Christkind den beiden diesen kleinen Unfall ganz sicher nicht übel nehmen wird. Peter, der zweitälteste der Geschwister befand sich nebenan im Wohnzimmer. Durch das Geschrei der Jüngsten neugierig geworden kam er nun in die Küche, holte seine Hand hinter dem Rücken hervor und hielt den Kleinen eine kleine golden, glitzernde Weihnachtskugel vor die Nasen. "Ich dachte ich hätte draußen was gehört", sagte er trocken, "Und da hab ich aus dem Fenster geschaut, und da lag diese schöne Kugel auf dem Fensterbrett."

Anne und Paul machten riesige Augen. Ganz verwundert und vorsichtig, damit nur die Familie sie hören konnte, flüsterten sie: "Das war bestimmt wieder das Christkind, wir haben es heute beim Milchholen schon mal gesehen, wirklich - darum sind wir ja so schnell gegangen. Weil wir euch das erzählen wollten!"

Bei einem heißen Tee und Lebkuchen, den Anne und Pauli von der Wirtin bekommen hatten, saß die ganze Familie noch um den Küchentisch und sang Weihnachtslieder. Alle vier Kerzen des Adventkranzes leuchteten und die Stimmung in diesem Raum bedeutete wahre Besinnlichkeit und Vorfreude auf den morgigen Heiligen Abend.


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