Weihnachtsgeschichten - Adventsgeschichten
Kurzgeschichte Weihnachten Weihnacht Advent
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Ein Funken Hoffnung

© Johanna Koch

Der Schimmer schien zu verblassen, als sie in den kleinen Lichtkreis der Straßenlaterne trat, und gleich darauf auch wieder im Schatten der Nacht verschwand. Es schien ihr, als würde selbst das Licht vor ihr flüchten, und sie in ihrer Hoffnungslosigkeit alleine lassen.

Fast alle Fenster waren erleuchtet, doch kein Licht drang nach draußen auf die dunkle, leere Straße. Verlassen - bis auf die junge Frau, die ohne nach rechts und links zu blicken an den vielen Parkbänken, Mülleimern, und Laternen vorbei eilte. Ihre Schritte hallten auf dem trockenen Asphalt wider. Noch immer hatte es nicht geschneit. Für die meisten kein Grund, sich nicht auf das Fest zu freuen, doch es nahm Laurens Weihnachten noch den letzten Zauber.

Als wäre in letzter Zeit nicht schon genug Schlimmes passiert. Jetzt lehnte sich auch noch Weihnachten gegen sie auf. Irgendwo in einem der Häuser stimmte gerade jemand ein Lied an. Verächtlich starrte Lauren auf ihre Schuhe, und beschleunigte ihren Schritt. Ihr war ganz und gar nicht nach Weihnachtsliedern. Lieder über Freude - das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Es passte schlicht und ergreifend nicht. Ein einfaches Lied würde nichts ändern können. Sie wusste nicht, ob es überhaupt etwas gab, das etwas ändern könnte.

Und dann war Lauren an ihrem Ziel angekommen. Wie es ab dann weitergehen sollte, wusste sie nicht genau. Ohne langsamer zu werden stapfte sie die breite Treppe hinunter, und betrat schließlich den ausgestorbenen Bahnsteig. Niemand war zu sehen. Warum auch? An Weihnachten ließ sich schließlich niemand auf einem Bahnhof blicken... jedenfalls niemand Normales. Die gewohnte Lautsprecheransage tönte durch die Halle. Der Zug würde auf Gleis eins einfahren, und zwar jetzt, kurz nach sieben. Wenigstens etwas. Dann musste sie nicht noch das Gleis wechseln.

Mit einem lauten Quietschen fuhr der Zug in den Bahnhof ein. Eine Reihe von Abteilen zog an Lauren vorbei und sie setzte sich in Bewegung. Ganz am Ende des Zugs stieß sie eine der Türen auf. Niemand anderes stieg ein, und auch niemand stieg aus. Das Gefährt kam ihr schon fast wie ein Geisterzug vor. Verlassen, und zum Großteil sogar ohne Licht. Trotzdem bestieg sie den Waggon. Es gab ohnehin kein Zurück mehr. Es gab nur noch den Weg nach vorne, und auch, wenn sie nicht wusste, wie es weitergehen würde, so musste sie einfach nach vorn. Egal was geschah. Mit wenigen Schritten hatte Lauren das hinterste Abteil durchquert, und bahnte sich nun einen Weg zu dem scheinbar einzigen, erleuchteten Abteil. Und dort wartete eine ganz schöne Überraschung auf sie.

Es war genau das, was Lauren als letztes erwartet hätte: sie war nicht alleine. An einem Fensterplatz saß eine alte Frau. Ihr weißes Haar war kurz geschnitten und versteckte sich größtenteils unter einer hellblauen Wollmütze. Sie trug einen zerfledderten, blauen Mantel, und um ihren Hals hatte sie einen Schal gewickelt, der aus der gleichen, hellblauen Wolle gemacht zu sein schien. Unsicher, wie sie sich verhalten sollte, setzte sich Lauren ihr gegenüber.

"Guten Abend", sagte die Frau. Sie hatte eine kratzige und sehr tiefe Stimme. Doch etwas lag in ihr, das man bei nur sehr wenigen Menschen hörte. Etwas, das einem sagte, das man bei ihr jederzeit willkommen war. Lauren nickte ihr etwas schüchtern zu. Sie kam für gewöhnlich nicht sonderlich gut mit Fremden aus. Aber dann riss sie sich zusammen, und entschloss sich, ihr wenigstens zu antworten.

"Hallo." Für einen Augenblick glaubte sie, ein Lächeln auf dem Gesicht der Frau zu sehen. Doch dann wurde sie gleich wieder ernst.

"Allein unterwegs?", fragte sie. Bestimmt setzte sie in Gedanken noch "an Weihnachten?" hinzu, dachte sich Lauren. Nun, irgendwie war die Frage ja berechtigt.

"Ja", meinte sie allerdings nur knapp. Was ging das die schon an?

"Das ist sehr schade. Ich kann es vertragen, schließlich ist dieses Weihnachten nicht das erste, das ich alleine erlebe, aber Sie sind sicher traurig darüber. Das war ich auch die ersten Male." Erstaunt hob Lauren den Kopf. Die ersten Male?

"Warum verbringen Sie Weihnachten denn alleine?" Sie konnte keine plausible Erklärung finden. Sie selbst verbrachte das Fest alleine, weil sie musste. Und sie hoffte sehr, dass es das einzige Mal sein würde. Warum würde das jemand absichtlich tun wollen?

"Es ist mein Schicksal. Wissen Sie, ich sammle Geld für gute Zwecke. All das, was ich besaß, habe ich gespendet. Es gibt mir ein gutes Gefühl. Anderen Leuten aber wohl leider nicht. Für sie bin ich nur eine verrückte Alte, mit der sie ganz sicher nicht Weihnachten feiern wollen." Geräuschvoll sog Lauren die Luft ein. Die Frau sammelte also Geld. Gab alles dafür auf, dass es anderen Leuten besser ging. Das war irgendwie ... unwirklich. Sie kannte niemanden, der so etwas je tun würde. Wer opferte seine Besitztümer schon für Leute, die er nicht einmal kannte? Diejenigen, die das tatsächlich taten, schienen nur noch im Märchen zu existieren.

"Und das macht Sie glücklich? Dass Sie Ihre eigenen Sachen für andere aufgeben?"

"Ja. Das ist Weihnachten für mich, wenn ich weiß, dass ich anderen etwas Gutes getan habe. Mehr brauche ich nicht." Es schien wirklich zu gut, um wahr zu sein. Lauren zweifelte daran, dass es seit Jesus jemanden gegeben hatte, der eben diese Meinung vertrat. Der plötzliche Wunsch, zu helfen, brandete in ihr auf. Und Zuneigung zu der alten Frau. Die wusste nämlich, was sie wollte. Im Gegensatz zu Lauren, die in ihrem eigenen Leben umher irrte.

"Wenn Sie sagen, Sie sammeln ... kann ich dann auch etwas spenden?", brachte sie nach einer Weile heraus. Sie hatte nicht viel, aber das hatte die Frau auch nicht. Wenigstens etwas würde sie dann erlangen können. Das Gefühl, irgendetwas getan zu haben.

"Natürlich", kam sofort die Antwort. Erleichtert atmete Lauren auf, und beobachtete, wie die Frau in ihrer Tasche wühlte, bis sie schließlich eine Dose herauszog, und sie ihr entgegen hielt. Etwas schepperte in ihr, doch es hörte sich nicht nach besonders viel Geld an. Entschlossen zückte Lauren ihren 20-Euro Schein. Das war eigentlich das, mit dem sie ihr Essen morgen, und vielleicht auch übermorgen bezahlen wollte. Aber sie würde schon irgendwie auskommen. Es gab Leute, die das Geld mehr brauchten, als sie.

"Danke", lächelte die Frau, und versenkte die Dose wieder in den Tiefen ihrer Tasche. Lauren öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch da war es zu spät. Mit einem erneuten, lauten Quietschen fuhr der Zug im Bahnhof ein und kam nach einer scheinbaren Ewigkeit zum Stehen. Die Frau machte keine Anstalten aufzustehen, doch Lauren wusste, dass das ihr Ziel war. Hier musste sie aussteigen. Rasch war sie auf den Beinen und bewegte sich auf die Tür nach draußen zu. Ein letztes Mal wandte sie sich um. Die Frau lächelte noch immer.

"Frohe Weihnachten"

"Ja, Frohe Weihnachten", erwiderte Lauren und verschwand auf dem dunklen Bahnsteig. Ihr Weg lag vor ihr, doch etwas an ihm hatte sich geändert. Sie hatte ihn sich düster, und ohne jegliche Hoffnung vorgestellt. Doch nun war er lichtdurchflutet, und es würde sie nicht wundern, wenn die Hoffnung sehr bald zurückkehren würde. Ein Funken von ihr hatte sie bereits gefunden.


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