Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
22. März 2007

Ende einer Nikolausparty

© Margret Küllmar

"Horst, Hohohorst, kommst du mal", rief Vera mit lauter schriller Stimme ins Haus hinein. Horst seufzte, schaltete nur ungern die Sportschau ab, erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel im Wohnzimmer und ging in den großen Wintergarten.

Vera schimpfte sofort los: "Warum antwortest du denn nicht? Wo bleibst du denn? Siehst du denn nicht, dass wir noch viel Arbeit haben? Du wolltest doch die Lichterketten anbringen."

"Ja ja, es ist doch noch Zeit, reg dich doch nicht so auf mein Schatz", sagte Horst und dachte: "Lass mich in Ruhe, du alte Nervensäge."

Vera und Horst steckten in den Vorbereitungen für ihre alljährliche Nikolausparty. Vorausgegangen war die alljährliche Diskussion, ob denn diese Party überhaupt veranstaltet werden sollte, ob sich die Kosten und die Arbeit lohnen würden. Es ging nicht darum, Spaß zu haben oder Freunde und andere nette Leute einzuladen. Vera und Horst hatten keine richtigen Freunde, sie legten keinen Wert auf Freundschaften, weil man nichts davon hatte. Eingeladen wurden die örtlichen Honoratioren des kleinen Kaffs in Nordhessen, weil man sie vielleicht einmal für die eigenen Belange gewinnen konnte.

Dann kamen die Nachbarn, ihnen musste man die Neuanschaffungen in Haus und Garten vorführen. In diesem Jahr war es ein neues Bad mit allen Raffinessen. In dieser Neubausiedlung, etwas entfernt vom alten Ortskern, hatten leitende Angestellte, Beamte des gehobenen Dienstes, Unternehmer und andere nicht schlecht verdienende Leute ihre Häuser gebaut. Sie arbeiteten tagsüber in Kassel oder einer anderen Großstadt, kamen abends zurück oder auch nur am Wochenende und wollten dann die ländliche Idylle genießen. Mit den Menschen aus dem Ortskern, zumeist waren es Landwirte oder Handwerker, wollten sie nichts zu tun haben. Man blieb lieber unter sich. Anders war das bei Vera und Horst, Vera stammte aus dem Dorf und hatte das Baugrundstück von ihrem Großvater geerbt. Horst war Schreiner, um sein Image und sein Konto aufzubessern, hatte er die Meisterprüfung gemacht. Er wäre furchtbar gern als Ausbilder in den Schuldienst gegangen, scheiterte aber an der Zulassungsprüfung. Die Prüfer hatten, was ihm völlig schleierhaft war, seinen pädagogischen Vorstellungen nicht folgen wollen. Vera selbst hatte keine beruflichen Ambitionen, sie war Gattin.

Außerdem hatten Vera und Horst noch die Verwandtschaft eingeladen, nicht weil man sich so liebte, sondern weil man im Dorf darüber reden würde, wenn die Verwandtschaft nicht in Erscheinung trat. Und auf das, was die Leute im Dorf über sie sagen würden, gaben Vera und Horst viel. Die Leute redeten schon genug, alle wussten, dass Vera hohe Ansprüche an ihren Bruder hatte. Sie war der Meinung, der halbe Bauernhof stände ihr zu. Dass sie mit diesen Forderungen dem Bruder und seiner Familie die Existenzgrundlage entzog, kam ihr gar nicht in den Sinn.

Missmutig machte sich Horst an die Arbeit, Vera schimpfte und meckerte weiter, der Partyservice kam und begann das kalt-warme Büffet aufzubauen. Nach Veras Meinung waren die Dekoration zu aufwändig, die Steaks zu groß und der Kartoffelsalat zu salzig. Die Gäste würden Durst bekommen und zu viel trinken. Ein junger Mann, offensichtlich eine Aushilfskraft, wurde frech.

"Zeigen Sie mir mal die Toilette. Ihr Gelaber schlägt mir auf den Magen ich muss kotzen", sagte er und verschwand im Haus.

"Unverschämtheit, morgen früh rufe ich ihren Chef an und dann sind Sie Ihre Arbeit los", schrie Vera hinter ihm her.

Horst schrie auch, von der Leiter herunter: "Vera mache dich fertig, sonst kommen die Gäste und du begrüßt sie im Bademantel."

Er kannte seine Frau und wusste, welche Ewigkeit sie für ihr Make up brauchte.

Eine Stunde später war die Party im vollen Gange. Scheinheilig wurde das neue Bad bewundert. Neidisch betrachtete Vera die neue teure Bluse der Nachbarin. Stolz führte Cousin Frieder sein nagelneues Auto vor. Seine Frau schwärmte von der geplanten Mittelmeerkreuzfahrt. Nichte Alina kam mit ihrem neuen Freund, einem angehenden Doktor der Mathematik. Nachbar Hans hatte nur eins im Sinn, er wollte so viel essen und trinken, wie eben reinging. Vera platzte fast vor Missgunst und Ärger und Horst fand alle Gäste doof. Man diskutierte über Heizölpreise und die Lebensdauer von Winterreifen, bis Inge das Wort ergriff und langatmig erklärte warum Männer im Sitzen pinkeln sollten. Damit hatte sie bei Vera mitten ins Schwarze getroffen.

"Ganz genau", rief sie, "das erzähle ich Horst jedes Mal wenn er zur Toilette geht, aber ich muss anschließend immer kontrollieren."

Hans war inzwischen in Stimmung gekommen und brüllte quer durch den Raum: "Horst, du alter Sitzpinkler, darauf musst du einen ausgeben."

Der Gastgeber lief puterrot an, alles lachte auf seine Kosten und der Ortsvorsteher dachte: "Schadenfreude ist die schönste Freude."

Die Stimmung stieg, die Gespräche drehten sich immer seltener um Geld und Besitz, man ging zum Dorfklatsch über und amüsierte sich köstlich. Es fiel niemandem auf, dass Horst mit seiner neuen Geliebten, Veras Cousine Elke, im Gästezimmer verschwand.

Gegen dreiundzwanzig Uhr gellte plötzlich ein spitzer Schrei durch das Haus. Er kam von Veras angeblich bester Freundin Erika. Sie hatte sich das neue Bad noch einmal in Ruhe ansehen wollen, um dabei die Sauberkeit zu kontrollieren. Was sie entdeckte war grauenhaft. In der auf Hochglanz polierten trockenen Badewanne lag Vera, angezogen, offensichtlich tot, mit der Klobürste im Mund.

Der Ortsvorsteher übernahm sofort das Kommando, das hielt er für seine Pflicht. Außerdem wäre er liebend gern Polizist geworden, aber dafür mangelte es ihm an Körpergröße und Sportlichkeit. Jedenfalls wies er die Leute an, nichts zu berühren und Ruhe zu bewahren. Das war völlig überflüssig, die waren ruhig, sehr ruhig sogar. Alle gingen ihren Gedanken nach und die drehten sich um Motiv und Täter.

War es der unverschämte Kerl vom Partyservice, er hatte so einen brutalen Eindruck gemacht? Oder kam Veras Bruder in Frage, sein Motiv könnten die Erbstreitigkeiten sein? Es wurde im Dorf auch über ein Verhältnis von Vera mit dem Organisten berichtet, dieser hatte eine große kräftige Frau. Man konnte ihr durchaus einen Mord zutrauen. Hatte ein Dieb die Situation ausnutzen wollen, die unverschlossene Haustür und den Lärm? Vera hatte ihn vielleicht überrascht, jedenfalls glaubten dies der Ortsvorsteher und auch Horst. All das war denkbar, die Gäste teilten sich in Gruppen auf und diskutierten darüber. Die Lage wurde nun laut und unübersichtlich, der Ortsvorsteher war mit seinem Latein am Ende und schlug vor, die Polizei zu rufen. Das hatte die alte Tante Ida schon getan, sie hatte vorschriftsmäßig einen Notruf abgesetzt. Die Polizei und der Notarzt erschienen und dieser stellte fest, dass Vera an einem Stromschlag gestorben war. Eitel wie sie war, hatte sie vermutlich mit dem Lockenstab ihre Frisur richten wollen und dabei das defekte Kabel übersehen.

Es war ein Unfall.

Aber wieso lag sie dann in der blankgeputzten trockenen Badewanne, mit der Klobürste im Mund? Wer tat so etwas und warum? Die Antwort kam schnell.

Elke, sehr hübsch, blond aber nicht besonders hell, sagte einen Satz der wie ein Blitz einschlug: "Horst, mein Schatz, du hättest zum Pinkeln in den Garten gehen sollen."

"Waren Sie im Bad und haben Sie Ihre Frau dort gefunden?", hakte der Polizist sofort nach.

Horst wollte sich heraus reden, aber ihm fiel nichts ein.

Er sagte nur: "Ja."

"Warum gehen Sie dann so mit Ihrer toten Frau um?", fragte der Polizist.

"Dafür gibt es viele Gründe, genau weiß ich das auch nicht", antwortete der stark verunsicherte Horst.

"Darüber können Sie im Gefängnis nachdenken, oder in der Psychiatrie", sagte der Polizist und dann noch: "Leute geht nach Hause, die Party ist zu Ende."

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