Unser Buchtipp Weihnachtsgeschichten

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Eingereicht am
21. März 2007

Der Weihnachtsbaum vom Knusperhäuschen

© Erika Hemmersbach

Heute war endlich der lang ersehnte Heiligabend angebrochen. Die ganze Familie verfiel in aufgeregte Vorbereitungen für den Abend. Es wurde geputzt, gekocht und die letzten Geschenke besorgt und eingepackt. Dann musste auch noch die Wohndiele weihnachtlich geschmückt werden. Die Familie wollte den Abend zusammen mit den Großeltern verbringen und alles sollte besonders schön und festlich aussehen.

Mutter hatte einen kleinen Tannenbaum ausgesucht, lobend über seine Zweige gestreichelt und seinen dichten Wuchs sehr bewundert. Dann war er in das Knusperhäuschen getragen worden. Weil das uralte Fachwerkhaus aussah wie ein Hexenhäuschen, hatte es die Familie kurzerhand Knusperhäuschen genannt. Die Tochter Annemarie schleppte eine Anzahl Kartons und Kisten vom Dachboden herunter und begann gleich in den Dekorationen des letzten Jahres zu kramen. Endlich fand sie die richtigen Sachen, die ihr für das wuschelige Bäumchen gefielen. In die Zweige des Weihnachtsbäumchens steckte Annemarie eine Vielzahl kleinerer elektrischer Lichter, Sie wollte keine Wachskerzen nehmen, damit sich die Hauskatzen nicht die Pfoten verbrennen konnten, falls es ihnen einfallen sollte, mit einer Christbaumkugel zu spielen. Die Äste des Baumes schmückte sie mit goldenen Schleifchen, Äpfelchen und Nüssen und fügte zum Schluss als Krönung noch dicke rote Kugeln hinzu. Wie frisch gefallener Schnee fiel vom Tischchen, auf dem der Baum stand, ein weißes Tuch bis zum Fußboden herunter .Mutter stellte von allen Tieren des Bauernhofes, Gänse, Pferde, Hasen und Katzen ein Abbild auf den weißen Boden, denn auch an die Tiere sollte Weihnachten gedacht werden. In der Mitte prangte unter dem Baum die Krippe mit Maria, Josef und dem Jesuskind.

Als der Abend dämmerte, wurden alle Tiere des Bauerhofes mit leckerem Futter verwöhnt. Auch sie sollten den heiligen Abend feiern können. Das Pferd bekam Müsli auf seine Möhren gestreut, die Hasen fanden Knabberstangen im duftenden Heu, die Katzen leckten sich den Bart nach ihrer Mahlzeit aus den Futterschälchen und die Gänse und Enten freuten sich über ihre Brotstückchen. Der Abendstern funkelte am klaren Winterhimmel und die untergehende Sonne malte rosa Kringel an die letzten heransegelnden Schäfchenwolken.

Im Knusperhäuschen wurden alle Kerzen in der Diele angezündet. Leise Weihnachtsmusik ertönte und die Familie versammelte sich am festlich gedeckten Tisch. Ein köstlicher Bratenduft durchzog das alte Haus. Kristallgläser und Silber glänzten im Schein der Weihnachtskerzen. Die Familie saß am Tisch, plauderte, lachte, aß und trank. Mutter und Annemarie hatten sich besonders viel Mühe gegeben, um ein wohlschmeckendes Abendessen zu zaubern. Jetzt lief Mutter mit roten Wangen zwischen Küche und Tisch hin und her und freute sich am guten Appetit ihrer Lieben. Als alle gesättigt waren, wurden die zahlreichen Päckchen ausgewickelt und die Geschenke bestaunt und bewundert. Danach saßen alle noch lange beisammen und die Großeltern erzählten von alten Zeiten als sie noch jung waren und auch noch allerlei Flausen im Kopf gehabt hatten. Ihre Enkel konnten gar nicht genug von den alten Geschichten hören und baten ständig um mehr. Der kleine Weihnachtsbaum freute sich über jedes nette Wort, das er hörte und schlief schließlich müde von all der Aufregung ein.

Aber auch in der nächsten Zeit bekam er viel zu sehen und zu hören. Im Knusperhäuschen wurden viele Besucher erwartet. Man lachte zusammen, hörte Musik und die langen Winterabende waren gerade richtig für Würfel- und Kartenspiele, die von den jungen Leuten stundenlang mit Begeisterung gespielt wurden. Alle Gäste bewunderten das Weihnachtsbäumchen und seine Zweige schimmerten golden im Glanz der Lichter.

Dann wurde es ruhiger. Der Wintersturm tobte um das Haus. Der Wind heulte, die Fensterläden klapperten und der Holzofen bullerte gemütlich mit tanzenden Flammen. Unser Weihnachtsbaum freute sich an der molligen Wärme. Kater Guhl lag auf dem weißen Teppich zu seinen Füßen und schnurrte behaglich. Dem Bäumchen fielen die Augen zu und es träumte von der Sommersonne, die es morgens wach geküsst hatte, vom Regen, der den Staub aus den Zweigen wusch und von den Vögeln, die zwitschernd und jubilierend in den blauen Himmel stiegen. Da durchfuhr ihn ein eiskalter Schrecken und der Baum wachte mit einem entsetzten Beben auf. Hatten die Vögel ihm nicht erzählt, dass alle Weihnachtsbäume weggeworfen würden? Einige sollten in Stücke geschreddert auf dem Reitplatz gelandet sein, andere waren in Flammen aufgegangen. Der Holzofen schien ihm jetzt nicht mehr gemütlich zu sein. Sein feuriges Maul schluckte unersättlich Holzscheite in sich hinein. Sollte auch er in den Ofen wandern? Sah so das Ende der schönen Weihnachtszeit aus?

Kater Guhl war das Entsetzen des kleinen Baumes nicht entgangen. Er wachte auf, setze sich auf seine Hinterbeine und sah mit fragend aufgestellten Schnurrhaaren und gespitzten Ohren in die leicht zitternden Ästchen hinein. Der Baum erzählte ihm mit bebender Stimme von seinen Ängsten. Einige Nadeln fielen zu Boden und blieben in dem weißen Teppich stecken. Guhl fauchte, als er sich eine Nadel in die Pfoten trat. "Pass doch auf, das tut weh", murrte er mürrisch. Dann tat ihm das Bäumchen leid. Tröstend schnurrte er "Nun warte es doch mal ab. Du bist so hübsch, ich kann mir nicht vorstellen, dass Mutter dich wegwirft. So etwas tut sie bestimmt nicht." Mit diesen Worten rollte er sich wieder seufzend ein, schloss die Augen erst halb und dann ganz und war bald darauf fest eingeschlafen. Der Weihnachtsbaum beruhigte sich und schöpfte neue Hoffnung. Nach einer Weile machte auch er erneut die Augen zu, lauschte dem Lied des Windes und schlief schließlich traumlos ein.

Noch einmal wurde er aus seiner Ruhe gerissen. Glocken läuteten, Raketen knallten und die Menschen wünschten sich um Mitternacht mit Gläserklang ein frohes neues Jahr.

Einige Tage später, der kleine Weihnachtsbaum hatte sich schon an sein Leben im Knusperhäuschen gewöhnt, stand Mutter vor ihm und sah ihn kritisch an. "Es ist Zeit, dass du aus dem Hause kommst. Deine Nadeln fangen an trocken zu werden.", meinte sie schließlich. Das Bäumchen erschrak bis ins Mark. Was würde nun aus ihm werden? Verzweifelt ließ er seine Zweiglein golden schimmern und strahlen. Mutter sollte sehen, wie schön er noch anzusehen war. Aber es half ihm nichts. Mutter band die Schleifchen, Äpfelchen, Kugeln und Kerzen ab und verstaute sie wieder in einem Karton. Dann nahm sie den Baum von seinem erhöhten Platz in der Wohndiele und trug ihn ächzend zur Tür. Voller Angst ließ er ein paar Nadeln fallen und schluchzte bang: "Ich will nicht sterben. Lass mich doch leben!"

Mutter keuchte, als sie den Baum durch die Tür zerrte und schleppte. Er versuchte mit aller Kraft, sich mit seinen Zweigen am Türrahmen festzuhalten, jammerte, weinte und flehte. Aber es half ihm nichts. Mutter schien seine Angst nicht wahrzunehmen. Ein kräftiger Ruck und der Weihnachtsbaum stand draußen.

Es war kalt und er fror erbärmlich. Ein eisiger Wind rüttelte an seinen Zweigen, als ob er die Nadeln von den Ästen schütteln wollte. Was war es doch im Hause gemütlich warm gewesen. Jetzt war wohl seine letzte Stunde gekommen. Der Baum schloss furchtsam die Augen und ließ seine Zweige müde und traurig hängen. Mutter trug ihn mühsam in eine vom Wind geschützte Hausecke und stellte den Baum dort vorsichtig ab. Die großen Oleanderbüsche, die dort in Kübeln überwinterten, begrüßten ihn freudig. "Erzähl doch mal, wie es im Hause war! Was gab es dort zu sehen?" riefen sie neugierig. Der kleine Baum berichtete ihnen von Weihnachten und seiner schönen Zeit im Haus. "Und jetzt muss ich wohl sterben", beendete er dann traurig seine Erzählung. Der Trompetenbaum hinter ihm schob erschreckt ein Blättchen aus seinen kahlen Zweigen heraus. "Wie kommst du denn auf diese Idee?" fragte er ganz entsetzt. "Die Vögel haben im Sommer von dem schrecklichen Ende aller Weihnachtsbäume gesungen", weinte das Bäumchen. Der Lorbeerbaum, der neben ihm stand, fing an so stark zu lachen, dass sich seine Blätter wie im Winde schüttelten. "Aber du doch nicht, du dummer kleiner Baum. Hast du dich denn schon einmal genau angeschaut? Sieh, da kommt Mutter! Jetzt pass auf, was sie macht." Der Weihnachtsbaum sah erstaunt, dass Mutter mit einer Gießkanne in der Hand zu ihm trat. Sie goss Wasser in den großen Kübel, in dem er seine Wurzeln ausstreckte. Durstig trank er und fühlte sich sofort erfrischt und neu belebt. Mutter strich ihm sanft über seine Zweige. "Vielen Dank, lieber kleiner Baum. Das hast du gut gemacht. Du bist für uns ein wunderschöner Weihnachtsbaum gewesen. Jetzt kannst du in Ruhe weiter wachsen. Und nächstes Jahr darfst du dann wieder in das Haus kommen." Guhl stolzierte mit einer Maus in der Schnauze von der Wiese heran, legte seine Jagdbeute an Mutters Füßen ab, ließ sich ausgiebig loben und strich dann um das Bäumchen herum. "Siehst, du", miaute er" ich habe es dir doch gesagt. Mutter wirft dich nicht fort." Schnell rieb er seinen Kopf an Mutters Beinen und schlenderte dann mit hochgestelltem Schwanz ins warme Haus.

Und ihr werdet es nicht glauben: Ostern hatte unser Weihnachtsbäumchen einen Ehrenplatz zwischen blühenden Osterglocken, Tulpen und Narzissen im alten Hof des Knusperhäuschens. Der sanfte Frühlingswind spielte mit den vielen bunten Ostereiern, die an seinen Zweigen schaukelten und er stand stolz und stramm und hielt seine grünen Zweige der warmen Sonne entgegen.

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