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Warten auf ein Weihnachtswunder

© Irene Komoßa-Scharenbeg


Während Gerda bedrohlich auf einem Hocker herumwackelte, zog sie den Tannenbaum zu sich herab. Seufzend befestigte sie eine Christbaumspitze mit vier glitzernden Glöckchen, ein altes Erbstück und Gerdas ganzer Stolz. Während sie von dem Hocker hinunterstieg, dachte sie an frühere Weihnachtsfeiern. Sie lächelte kurz, dann verschwand das Lächeln zugunsten einiger Sorgenfalten. Früher hatte sie den Baum immer zusammen mit ihrem Mann geschmückt. Der Gedanke an ihren Mann setzte eine Flut negativer Gefühle frei. Vielleicht weil dieses "Früher" erst zur jüngeren Vergangenheit gehörte und sie die Zufriedenheit vergangener Tage noch wie einen Zug empfand, den sie soeben unerwartet verpasst hatte. Der Zug hatte sich mit schleichendem, dennoch viel zu schnellem Tempo von ihr entfernt, immer weiter, bis sie ihn nur noch als Punkt am Horizont erkennen konnte, wenn überhaupt. Zurück blieb ungeheure Verantwortung, die nun immer schwerer auf ihren Schultern lastete. Erschreckt sah sie zur Türe. Wie konnte sie Felix nur so lange alleine lassen? Eilig lief sie in die Diele. Von dort konnte sie ihn beobachten. Felix saß in der Küche und schob Dominosteine auf der Tischplatte herum. Seinen hellen Lockenkopf hielt er leicht nach unten geneigt, so dass er Gerda nicht sehen konnte. Erleichtert atmete sie auf. Während sie sich geräuschlos zurückzog, schalt sie sich für die übertriebene Sorge. Überall registrierte sie Gefahren. Dabei hatte sie die Sicherung des Herdes ausgeschaltet und alle scharfen Messer aus seiner Reichweite verbannt. Rasch kehrte sie in den Wohnraum zurück. Wie sie diesen Zeitdruck hasste. Meist gönnte ihr Felix kaum Muße. Er hatte ein feines Gespür dafür, wenn sie ihm nicht die volle Aufmerksamkeit schenkte. Doch heute durfte sie sich nicht stören lassen, zumindest nicht bis sie den Christbaum geschmückt hatte, selbst wenn sie Felix dafür in der Küche einsperren musste. Unwillig fuhr sie mit der Hand über die Stirn, als könne sie dadurch die unangenehmen Gedanken verscheuchen. Während sie den Christbaum mit dunke stellte sie sich die Frage, die sie schon so oft gestellt hatte, ohne je eine Antwort erhalten zu haben. Warum lastete die Verantwortung ausgerechnet auf ihrer Schulter? Und warum versuchte sie immer noch, den Alltag aufrecht zu erhalten als sei nichts geschehen? Tapfer kämpfte sie die aufkommenden Tränen nieder und hängte weiße Schneemänner mit lustigen, roten Zipfelmützen an die Tannenzweige, als würde sie dadurch einer Stimmung trotzen, die sie sich nicht leisten konnte. Beeilen musste sie sich, sonst würde Felix womöglich hereinplatzen, bevor sie mit dem Schmücken fertig war. Dabei wollte sie sich den Augenblick, wenn er die brennenden Kerzen bestaunte, nicht nehmen lassen. Irgendwie hegte sie die heimliche Hoffnung, dieser Moment könne noch einmal die glückliche Vergangenheit zurückholen, zumindest für einen kurzen Augenblick. Gedankenverloren befestigte sie die Kerzen einer Lichterkette an den Zweigen. Als sie den Stromkreis schloss, erstrahlte ihr Werk in einem gelblich warmen Licht. Ein letzter kritischer Blick, dann holte Gerda zwei hübsch verschnürte Päckchen aus dem Schrank. Sie selbst würde kein Geschenk erhalten. Oder könnte ihr größter Weihnachtswunsch womöglich doch in Erfüllung gehen? Mit gemischten Gefühlten lief sie zu Felix, der immer noch mit den Dominosteinen in der Küche spielte. Doch nun bemerkte er sie. Aufgewühlt führte sie ihn ins Wohnzimmer. An der Türe blieb sie stehen und beobachtete, wie sein Blick zu dem Lichterglanz des Christbaums wanderte.
"Frohe Weihnachten", wünschte sie, während sie sanft durch seine grauen Locken strich.
"Weihnachten, Weihnachten, Weihnachten", echote Felix mit verständnisloser Miene.
Prüfend blickte Gerda in die trüben Augen des Mannes, mit dem sie ihr Leben seit einer kleinen Ewigkeit teilte. Sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben, wartete auf ein winziges Zeichen des Erkennens, ein kurzes Aufleuchten der Augen, ein kleines Lächeln, wenigstens zu Weihnachten.


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