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Mauerstücke - Erinnerungsgeschichten

Mauerstücke
Erinnerungsgeschichten
Hrsg. Bettina Buske und Patricia Koelle
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-08-1

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

Ist ja wirklich so!

© Bettina Buske

Anfang Mai 1990, über sechs Monate ist die Grenze zwischen Ost- und Westberlin offen. Karin und Ute stehen fröstelnd auf dem zugigen Bahnsteig der Hochbahnstation Schlesisches Tor. Sie haben am nächsten Tag ein Vorstellungsgespräch in einer Wilmersdorfer Hausverwaltung und wollen den Weg erkunden, um ja pünktlich zu sein. Die Stadt ist seit dem Mauerfall groß geworden, Entfernungen schwer einzuschätzen, wenn es den Westteil der Stadt betrifft.

"Ute, wie war der Besuch von deiner Kusine aus Bremen?"

"Hör bloß auf!", antwortet Ute. "Ich hoffe, die seh ich nie wieder!"

"Warum das denn?"

"Ich hatte mich so gefreut, dass sie uns besuchen wollten, weißt du ja. Freitagabend sind wir essen gewesen, das war noch ganz nett. Nur fand ich komisch, dass ihr Mann ständig die Speisekarte kommentieren musste, wie billig das alles ist. Also, ich fand das gar nicht billig, hat mich über 100 Mark gekostet, der Abend. Ein Siebentel meines Gehalts. Beim Frühstück fragte er, was wir für Strom, Gas und Miete zahlen. Hab ich Blödi alles beantwortet. Warmmiete 95 Mark für drei Zimmer mit Zentralheizung, das hat der irgendwie nicht verkraftet. Das hättest du mal hören sollen, so aggressiv, wir sollen uns nicht einbilden, dass es so bleiben wird; das Billigleben ist vorbei, bald gilt: nur wer was leistet, kann sich was leisten. Dann fing meine Kusine an, sich über die Wohnung lustig zu machen. Haha, guck mal, keine Türpfosten, haha, guck mal, keine Scheuerleisten, guck mal, die Armaturen und hier, haha, Aufputzdosen. Ich dachte, ich spinne! Sich erst aufregen, wie billig alles ist, und sich lustig machen, wie billig alles gemacht ist. Die haben miteinander gesprochen, als wären wir nicht dabei. Nee, wirklich, die werde ich nie besuchen."

"Aber mit deiner Oma verstehst du dich doch gut."

"Ja, klar. Mit Oma verstehe ich mich bestens. Vielleicht waren sie ja so, weil sie darauf eifersüchtig sind."

"Irgendwie hab ich Schiss vor morgen", sagt Karin plötzlich. "Die sind so anders."

"Die tun nur so", antwortet Ute, "und mehr als dass man uns morgen doch nicht will, kann uns nicht passieren, also bleib ruhig."

"Ich weiß nicht, ich hab da gestern im Dritten so eine Sendung gesehen ..."

Karin hat noch nicht ausgeredet, da fragt Ute: "Drei Frauen in Schwarz? Eine dicke rothaarige Moderatorin und zwei Schnepfen?"

"Haste die auch gesehen?"

"Ja klar, fast zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Alle Ossis stinken und tragen Slipper mit weißen Socken und klauen anderen aus Einkaufwagen, was nicht im Regal liegt."

"Ja, das fand ich so was von … Aber ein bisschen hab ich ne Vorstellung, was die meinen. Der olle Muff morgens in der U-Bahn, wenn man zur Arbeit fährt. Mäntel und Anzüge werden wohl zu selten gereinigt. Aber hier riecht es auch nicht nach Lavendel."

"Eben. Noch mal auf die Sendung zurück, die eine war doch aus Hof. Hast du das noch gesehen, wie die sich darüber aufregte, dass die Ostler ihr schönes Kunstgewerbegeschäft heimsuchen und Etageren, die seit zehn Jahren kein Mensch mehr will, kaufen? Wie bekloppt war das denn? Ist doch wohl mehr als peinlich, solche Ladenhüter zu horten und dann noch zu meckern, dass die endlich weggehen. Wo sind wir jetzt?"

"Hallisches Tor."

"Sieht ja nicht so schick hier aus."

"Nee wirklich nicht, irgendwie wie bei uns."

Die beiden schweigen eine Weilchen, dann fährt Karin fort: "Weißt du, als ich klein war, meinte ich, die Strecke von Friedrichsfelde zum Alex heißt U1, weil die von Pankow nach Thälmannplatz U2 hieß. Das war, glaub ich, das Erste, was mir von der Teilung der Stadt ins Bewusstsein kam. Die Nummern der U-Bahnlinien, die nicht zusammenpassten. U2 und U5, da fehlten drei Linien. Meine Eltern hatten mir dann erklärt, dass es eigentlich acht Linien waren und dass die Stadt geteilt wurde. Nur, irgendwie hab ich nicht verstanden, warum es zwei Berlin gab, wo es doch vier Mächte waren. Hätte dann doch jede Macht ein Berlin kriegen müssen!"

"Hab ich mir nie Gedanken gemacht. Und jetzt sind es sogar neun Linien", gibt Ute zur Antwort. "Für meine Familie war die Einführung der Deutschen Mark und die Reaktion der Russen Ursache der Trennung. Jalta, da erhielten Berlin und Wien Sektorengrenzen, noch bevor der Krieg zu Ende war. Aber danach, Adenauers 'Lieber das halbe Deutschland ganz, als das ganze Deutschland halb' hat die Russen ermutigt, ihre stalinistischen Kader einzusetzen und demokratische verschwinden zu lassen. Hat Opa gesagt, wenn Oma als Protest gegen die deutsche Teilung die Kerze ins Fenster stellte. Opa war früher Sozialdemokrat und hat in den 50ern lange in Bautzen gesessen. Was meinst du, ob Deutschland sich sonst ähnlich wie Österreich entwickelt hätte?"

"Wird nicht mehr zu klären sein, jedenfalls nicht von uns. Sag mal, Kerzen im Fenster, war das nicht eine Westaktion?"

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Mauerstücke
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Erinnerungsgeschichten
Hrsg. Bettina Buske und Patricia Koelle
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-08-1


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