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Eingereicht am
11. Juli 2007

Die Nadel

© Jürgen Heusser

Ich hätte wohl nie geglaubt, dass sich mein Leben mit dem Stich einer Nadelspitze so ändern würde. Eigentlich war ich ja so ein richtig eingefleischter Junggeselle. Eingefleischt nenne ich es, weil ich nun auch schon meine 37 Jahre auf dem Rücken habe. Lange Beziehungen hatte ich nicht. Es waren mehr saisonbedingte Flirtereien die im Schnitt so 1 bis 2 Wochen anhielten. Bis vor 5 Monaten genoss ich ein doch recht schönes Leben. Ich hatte eine schöne 2-Raum-Wohnung in München-Schwabing. Passend für einen Junggesellen eingerichtet. Mega Anlage, großer Fernseher, Video, bequeme Couch, Spielkonsole für lange Spielnächte, kleine Küche mit großem Kühlschrank. Sogar eine Spülmaschine fand in der kleinen Küche platz. Man(n) ist halt auch bequem und diese Abspülerei ist auch nicht das wahre. Es hatte mich Jahre gekostet, die Wohnung mit vielen seltenen Stücken zu schmücken und geschmackvoll einzurichten.

Nun ja kommen wir wieder auf den Tag vor 5 Monaten zurück. Es war ein Dienstagmorgen als ich kurz nach dem Aufstehen mit einem kräftigen Husten den fahlen Rauch meiner Zigarette aus blies. Ich muss mit diesem Zeug wohl aufhören. Ist ja auch nicht gerade die beste Mischung, 2 Liter Rotwein, natürlich nur den guten Französischen, und 2 Schachteln Zigaretten. Eigentlich hätte es ja das ganze nicht gebraucht. Aber jetzt sitze ich mit 64 Boing 737 in meinem Kopf da, und kann mir überlegen wie ich das Chaos, das sich hier in der Wohnung angerichtet hat wieder in eine abmessbare geometrische Form bringe.

Nun bevor ich hier aber noch stundenlang meinen wohl nicht all zu duftenden Atem durch den Raum schleudere, stell ich mich am besten einmal erst einmal kurz vor. Mein Name ist Tom Sandler. Ich bin nun seit 3 Wochen der Zahl 40 ziemlich nahe gerückt. 37 Jahre, man stelle sich das vor. Vor kurzem war ich noch 26 oder so und voller Kraft und Elan. Die Zahlen 26, 31, 33, 34 und nun 37 das klingt wie Lottospielen, wobei es da bei 49 aufhört. Heute mit 37 habe ich nicht mehr den Elan, sondern suche wohl erst einmal einen Flughafen für die ganzen Flugzeuge, die in meinem Kopf ihre Warteschleifen ziehen.

Ein Glück, dass Arbeiten heute nicht angesagt war. Wohl wissend, dass die Jungs gestern da waren, hatte ich für heute schon einen Tag Urlaub eingetragen. Die Jungs, das waren Frank, Martin und Volker. Wir kannten uns nun denke ich auch schon an die 15 Jahre. Frank und Volker hat es schon vor Jahren aus dem Junggesellenleben gerissen. Martin dagegen lebt mit seiner Lebensgefährtin Sonja in einer Dauerwechselbeziehung. Mal sind sie beieinander, dann wieder nicht. Das tolle ist, dass sie das schon seit 8 Jahren machen. Heiraten ist für beide nicht drin, es würde ihre persönlichen Freiheiten einschränken. Nu ja, es funktioniert und jedem sein Problem, meines ist erst einmal ein Aspirin zu finden.

Eine halbe Stunde nach der Aspirin, hatten sich die Flugzeuge ihre Landebahn gesucht und gingen nun zum leichten Aus-Checken über. Es war die richtige Zeit für den ersten Kaffee. Als ich die Küche betrat, wollte ich ihr sogleich wieder den Rücken zeigen. Ein sanfter Duft von kaltem Rauch und abgestanden Alkohol empfing mich. Erst einmal Lüften. Sauerstoff würde der Küche gut tun und mir auch nicht abträglich sein. Nun ja, dachte ich mir als mein Blick nun durch die Küche schweifte, bevor ich hier Ordnung mache lasse ich hier erst einmal gut durch lüften und gehe ich wohl lieber ins Cafe gegenüber.

Im Cafe Hubert angekommen wurde ich mit einem "Guten Morgen Tom, war ne lange Nacht, so wie es aussieht", empfangen. In dem Moment wurde mir bewusst, dass ich wohl erst das Badezimmer hätte aufsuchen sollen. "Rasierer ins Klo gefallen", antwortete ich rasch und knapp. Kannst du mir einen Megabrenner-Kaffee machen.

Ich brauch bitte einen großen Muntermacher. Seit 12 Jahren kam ich ins Cafe Hubert. Es war noch eines der gemütlichen Cafes im Stil der alten Wiener Art. Mit dem besten Kaffee der Stadt und manchmal für Stammkunden auch mal etwas besonderen Mischungen. In den Jahren hatte ich mir den gemütlichsten Platz im Cafe ersessen, der zu meinem Glück auch frei war.

Als ich mich nun durch den Schwung der Trägheitsmasse meines Körpers recht heftig in den Sessel sinken ließ, merke ich auf einmal diesen Schmerz. Im Normalfall, an einem normalen Tag, in einer normalen Verfassung, wäre ich sofort wieder aufgesprungen. Heute brachte mein Körper nur ein lautes AAAAHHHH heraus. Kerstin, die Bedienung kam sofort her " Was ist los?", fragte sie als sie in mein zu einer Grimasse verzogenes Gesicht sah. "Ich sterbe" sagte ich, "nein Quatsch" - SCHMERZ. Langsam hob ich meinen nun schweren Körper aus dem sonst an sich bequemen Sessel. Meine Hand fuhr langsam zu der Stelle an der mein rechter Oberschenkel nach oben hin endete. AAAHHH. Genau dort spürte meine Hand etwas, das da nicht hinzugehören schien und den Schmerz auslöste. Der Schmerz verringerte sich als ich den Gegenstand aus meinem Allerwertesten zog. Was ich nun in meiner Hand hielt war eine ca. 5 Zentimeter lange Nadel. In einem zarten Rot lachte mich die Nadelspitze an, die sich etwa 3 Zentimeter weit in die rechte Seite meines Allerwertesten gepresst hatte. Damit sie es auch nicht vergaß, hatte sie die Länge des Eintritts mit einer dünnen Schicht meines Blutes gekennzeichnet. "Wer zum Henker lässt so ein Schei..." entwich es meinem Mund, als ich die Worte hörte "Ich glaube, das war ich".

Noch mit der blutigen Nadel in der Hand drehte ich mich der Stimme entgegen. Wie in einem schlechten Film begann nun alles sich in Zeitlupe zu bewegen. Langsam blickte ich von der blutigen Nadelspitze in zwei herrlich braune Augen, die erschrocken die meinen suchten. Umgeben von Schulterlangen dunklem Haar blickte ich in ein Gesicht wie ich es noch nie gesehen hatte. Der Mund, die Nase, die Stirn, das Kinn vor allem die Augen ließen mich meinen Schmerz vergessen. "Ist das Ihre Nadelspitze, die mich hier aufgespießt hat?". Sie nickte verlegen. "Es tut mir leid, ich hatte sie schon vermisst, ich kann mir gar nicht erklären wie, mein Gott sie bluten", sagte sie. Ich wurde erstochen und bin Himmel ging es durch meinen Kopf, den Blick nicht von ihr losbekommend und sagte mit schmerzverzerrtem Gesicht "wohl nur ne Fleischwunde". Wir sahen uns an und fingen beide an zu lachen, denn wir musste wohl beide ziemlich dumm geschaut haben. Nachdem ich die Wunde etwas versorgt hatte, erlebte ich bis dato mein schönstes Frühstück, genau mit jener Frau. Ihr Name war Nadine und von jenem Tag sollte kein Tag mehr wie sein es einmal war.

Wir verbrachten den ganzen Morgen damit zu frühstücken, uns zu unterhalten und zu lachen. Gingen danach spazieren und trennten uns erst am nächsten Morgen als ich und Sie zur Arbeit musste. Zum Glück verbrachten wir die Nacht bei Nadine, so konnte ich am nächsten Tag noch das Chaos in meiner Wohnung beseitigen. Ab jenem Tag waren wir nicht mehr zu trennen: Die Zeit schien mit Nadine in anderen Dimensionen zu laufen. und heute, 4 Monate danach, sind wir endlich in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Manchmal steht alles auf Messers Schneide, aber bei uns begann es mit einer kleinen Nadelspitze und ich bin mir sicher, dass ich mit Nadine alt (auch über die Lottozahlengrenze) werden werde. Heute habe ich ihr einen Heiratsantrag gemacht. Den Verlobungsring auf einem Nadelkissen auf einer Nadelspitze. Die eine Nadel mit der alles begann haben wir eingerahmt und sie wird uns immer an unser erstes Treffen erinnern. So schnell kann es vorbei sein mit dem Junggesellenleben, aber nicht eine Sekunde bereue ich es mein Leben geändert zu haben. Bis - ja - vielleicht eine Sekunde, und zwar die als sich die Nadelspitze den Weg suchte um uns zueinender zu bringen.




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