Unser Buchtipp
Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 3-9809336-3-6
kleine mysteriöse Welten, in denen es sowohl gruselig und unheimlich zugeht als auch ironischwitzig und ein wenig erotisch. Und fast immer raffiniert überraschend.
Westdeutsche Zeitung

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Eingereicht am
09. Mai 2007

Mein Sommer mit Paula

© Karin Reddemann

Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 3-9809336-3-6 Paula war laut, groß und besaß enorme Brüste. Ihr gegenüber fühlte ich mich klein und brav erzogen, obwohl ich es tatsächlich faustdick hinter den Ohren hatte. "Du bist ein selbstherrliches Miststück." Sagte Paula auf der Rückfahrt von Erfurt ins Ruhrgebiet zu mir, stellte sich bockig, als ich auf die lauschenden Mitreisenden hinwies, und war immer noch vom Wodka zum China-Frühstück gezeichnet. Dicke Wülste unter den ungeschminkten Augen, fette rote Bäckchen. Kein Wunder, dass die keiner so wirklich gewollt hat. Bis auf den Gärtner.

Während unseres ersten und letzten gemeinsamen Urlaubs in der Türkei, Nähe Kemer, eine Baustelle, aber billig, lag sie wie gemalt auf der verwuselten Wiese und strahlte: "Hab's grad mit dem Typ getrieben." Ich war ordentlich verblüfft. "Mit dem Gärtner? Wo?" Paula zeigte sich sichtlich zufrieden und deutete auf den Geräteschuppen. "Ein Hammer." Kaum ausgesprochen, kam er anmarschiert, Rechen in der fast schwarzen Pranke, Oberarme wie Elefantenrüssel. "Paula? Bier? Ficken? Noch mal?" Sie schüttelte gelangweilt den Kopf, ganz Diva, eben die aus dem ollen Schuppen, sagte: "Ich nicht mehr. Willst du? Der ist gut." Ich: "Wie bist du denn drauf?" Dachte nur, große Güte, wo bin ich hier? Dachte natürlich auch an Ilhan, den Hotelmanager, mit dem ich kurz zuvor im Bett gewesen war. Ein schöner Mann mit einer dicken langen Narbe am linken Oberschenkel, - Motorradunfall, er wäre beinah hopps gegangen (behauptete er und ließ sich heulend lutschen) -, sprach passabel englisch, liebte gut französisch. Damit kenne ich mich aus. Paula mochte ihn nicht. Sie fand prinzipiell alle zur direkten Entsorgung gedacht, die sich für mich und nicht für sie interessierten. "Dummschwätzer, doofe Schönlinge." Dabei war ich die Intellektuelle, nicht sie. Im Zug auf der Heimfahrt wurde sie dann so richtig ungemütlich, steckte sich die zweite Zigarette an, - die erste hatte sie am Filter angezündet, das schmeckt nur bedingt -, und schnauzte mich an: "Der Kerl war für mich."

Ich versuchte es mütterlich: "Ruhig, Paula. Hier darfst du nicht rauchen." Sie rauchte trotzdem, hätte ich auch gern gemacht, aber ich dachte an Oma Oben-Rechts. "Kind, halte dich an die Spielregeln." Hatte ich gemacht, habe ihr einen Sekt angeboten. So was befindet sich phasenweise in meinem Handgepäck. Sie schluckte und rotzte los. "Duuu. Glaubst, die Schönste, Beste, Klügste zu sein, ich scheiß auf dich." Basta. Vermutlich wurde ich lästig rot, verlegen und sauer. Schubste die stämmige Paula aus dem Abteil, - ich kann Mordskräfte entwickeln -, und beruhigte sie mit einem Bier im Speisewagen. Half. Vorerst.

Unsere Bekannten aus dem Türkeiurlaub, nett, mit komischen Nüssen um sich schmeißend und irgendwie verlottert, waren so charmant gewesen, uns zum Sommerfest in "Dunkeldeutschland" ein zu laden. Wie reizend, dachte ich, kann ich mal wieder Goethe in Weimar gucken gehen, ist grad um die Ecke, den haben die uns ja eh geklaut. Dass ich den Indianer (kein echter, sächselte böse, hatte aber schwarze Haare bis zum Arsch), der liebevoll für Paula gedacht war, für mich habe gewinnen können, hat nicht im Programm gestanden. Er war riesig, erstaunlich gut tätowiert (kein übles Knastgekritzel) und hätte von seiner Statur her prima zu meiner großen, vollbusigen Freundin gepasst. Immerhin hätte er sie stemmen und im Stehen nehmen können, was nicht unbedingt leicht ist für Gnome um die einsfünfundachtzig. Unkas, die Zweimeterrothaut, wollte meine stimmstarke Freundin aber nicht. Er spielte auf seiner Klampfe, die bunten Kettchen an seinem Handgelenk klimperten im Takt, und Paula lachte, dass der Boden vibrierte, schrie "Wat ne Party" und tanzte barfüssig. Aber mit der Musik und ihrer Koordination haute das nicht so hin. Sie hatte es mal wieder voll versaut. Wurde immer besoffener, dann vorlaut: "Jetzt lass das Gedudel und setz dich mal hierher, zu Mutti."

Er hockte sich lieber unter die Hängematte, spielte Neill Young und anschließend mit mir. Muss gestehen, ich habe ihn angesehen, mein Blick ist professionell, aber nicht eingeübt. Wirkt immer. Ich habe dann nicht in der Villa Kunterbunt unserer zerzausten Freunde aus Erfurt übernachtet, sondern bei Unkas gleich gegenüber, der sein Schlafzimmer mit Playboy-Bunnies tapeziert hatte. Störte mich nicht. Er war finger- und zungenfertig, und weiter unten harmonierte es genial. Gut, dass er dabei die Klappe hielt. Diesen Dialekt brauche ich nicht.

Am nächsten Morgen bestellten unsere Erfurter Freunde, salopp in zuselige Bademäntel gehüllt, chinesisches Durcheinander, leerten mit Paula die noch halbvollen Pullen auf dem Gartentisch und verursachten mir Magenkrämpfe. Kopfschmerzen hatte ich eh. Außerdem war es Zeit für den Zug. Mein Indianer zeigte sich anhänglich, Paula stänkerte. "Hach ja, hast es mir aber mächtig gegeben, wie?!" Erklärend muss ich hinzufügen, dass sie tatsächlich mit ihm hätte verkuppelt werden sollen. Das hatten wir bereits bei einer Bootstour in der Türkei im Juni klar gemacht, an die ich mich gut erinnern kann, weil wir alle Raki gekotzt haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ganz andere Sorgen: Frisch von meinem blonden, blauäugigen, schleimigen Arschgesicht-Freund getrennt, befand ich mich in der Türkei in einer prekären Situation. Nach einem privaten nächtlichen Ausflug mit dem Chef-Reiseleiter war mein Daumen gebrochen, - glatt durch -, und während ich an der Hotelbar gemeinsam mit ihm meine Wunde leckte und ihn recht zärtlich beschimpfte, weil er die Autotür zugeknallt hatte, ohne meine Hand zu beachten, kam Ilhan. Unsere Knutscherei gefiel ihm nicht, also verwünschte er mich und ging. Paula grinste sich einen und fand das völlig in Ordnung. "Da siehst du mal, wie das ist." Von wegen. Paula kommt in solch eine göttliche Misere erst gar nicht. Sie gehört zu den Frauen, die eine Stunde mit einem Kerl an der Theke stehen, um sich dann sagen zu lassen: "Ich hau ab. Du bist mir zu langweilig. Ciao, Alte."

In diesem letzten Sommer mit Paula schloss ich im Zug Frieden mit ihr. Ich drückte auch ein Auge zu, als sie, zurück in der Heimat, in einer gut Szene-durchtränkten Diskothek lauthals los keifte: "Wo sind die ganzen geilen Kerle, die mich versorgen sollen?" Leidiges Pech nur, dass mich alle in diesem Moment des kollektiven Schweigens anstarrten und mich, schamesrot, nötigten, eine saublöde Erklärung zu liefern: "Äh, ich war das nicht. Keine Ahnung, wer solch einen Mist brüllt." Ich verzeihe ihr auch, dass sie einen guten Freund von mir mit ihrem verzickten Charme, - "Verpiss dich, quatsch mich bloß nicht voll, Sackgesicht!" -, in die Flucht geschlagen hat. Er ist psychisch bedenklich labil, hat aber eine recht ordentliche Therapeutin, das beruhigt mich. Es ist auch nicht weiter tragisch, dass sie fast meinen Hund Sweety auf dem Gewissen gehabt hat, weil sie über den hässlichen gelben Köter ihrer Nachbarin verlautet hatte: "Lass die beiden Wuffis ruhig spielen, der Nero macht nichts."

Was ich ihr nicht vergebe: Sie hat sich auf der Geburtstagsfeier meiner Schwester auf dem Clo eingesperrt und dort gepennt. Wir mussten alle in die Blumenbeete. Schade, war kein Gärtner da. "Paula. Bier? Ficken? Noch mal?" Hätte sie vielleicht aus der Toilette gelockt. Und unsere Freundschaft gerettet. Vermutlich aber doch nicht.




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