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Gespräch mit Nutte

© Oliver Simon Bär


Mit achtzehn sprach ich zum ersten Mal mit einer Nutte. In einer menschenleeren Salsoteca im Herzen Quitos sass sie an der Bar und nippte an einem Mojito. Albert, mein deutscher Kumpel, hatte mich alleine gelassen, um nach Zigaretten zu suchen. Die Discolichter schillerten auf der dunklen Haut ihrer Schultern. Vor ihr brannte eine Kerze, von der sie immerwährend Wachsbrocken klaubte und wieder in die Kerze fallen liess. Ich setzte mich neben sie und bestellte ein Bier. Als ich bemerkte, wie sie mich von der Seite betrachtete, blieb mein Blick auf dem Barkeeper. Salsa-Rhythmen trommelten durch die Lautsprecher über die leere Tanzfläche.
"Hola, guapo", lispelte sie mir entgegen, "como te llamas?". Sie drehte sich zu mir um, und ihr Mund verbog zu einem Lächeln. Maria, so hiess sie, hatte das Gesicht einer längst vergangenen Schönheit. Unter ihrer Lippe trug sie eine Narbe, die hätte genäht werden sollen und die Augenbrauen waren fast komplett gezupft, ausser einer dünnen Linie, die sie mit schwarzer Farbe hervorhob. Ihr eng gelocktes, feucht glänzendes Haar hing ihr über ihre dunklen Schultern bis an die Hüfte. Sie roch ein wenig nach Mückenkerzen, und ich war mir nicht sicher, ob ich das mochte.
"Bruno", erklärte ich zögernd, "mucho gusto". "De donde eres?", fragte sie auf eine geübt kokette Art. Ich nippte an meinem Bier, überlegte. "Italia". Klischees waren mir zuwider. Ein Schweizer wird in Ecuador oft als Blaublütler behandelt.
"Oooh, Italia, que lindo! De Roma?" Bevor ich antworten konnte, lehnte der Barkeeper über die Theke, schaute mich an und nickte in die Richtung Marias. "Das ist ´ne Nutte, Junge, mit der würd ich nich' reden, nach allem was sie schon im Mund hatte!", warnte er mich mit brummigem, bayrischem Akzent. "Passt schon", erklärte ich. Der respektlose Rat des Barkeepers hatte mich aus der Fassung gebracht. Nicht mit ihr reden, weil sie eine Nutte ist? Ich war mir sicher, in Maria mehr Tiefe zu finden als in jedem Barkeeper Quitos, und war fest entschlossen, mir das zu beweisen.
"Como te llamas?", fragte ich sie in nun sicherem Ton. Maria blies die Kerze aus und schob sie zur Seite, worauf der Barkeeper kopfschüttelnd weglief und grinste. "Yo soy Maria", lächelte sie mir entgegen, wobei sie ihren Rücken durchstreckte, so dass ihre flachen Brüste ein wenig anschwollen. Sie legte mir ihre Hand auf den Arm, der die Bierflasche hielt. Wie vom Blitz getroffen zog ich meinen Arm zurück, weswegen mein Bier überschwappte und einen nassen Fleck auf meiner Jeans hinterliess. "Ayay, no te pongas tan nervioso, guapo!", grinste sie. "No me toques mas, por favor.", wies ich sie an. Ich mochte ihre Berührung nicht. Sie zuckte mit den Schultern. "Como quieras, guapo".
Meine Ellenbogen waren nun auf die Theke gestützt, mein Kinn auf die linke Faust aufgepflanzt. Ich dachte nach. Worüber spricht man mit einer Prostituierten? Ich wollte, konnte nicht flirten. Ich wollte sie auch nicht aufhalten oder blossstellen. Ich war entschlossen ihr zu zeigen, dass Männer sich für sie interessieren konnten ohne mit ihr schlafen zu wollen. Dass nicht alle Männer gleich sind.
"Liest du gerne?" Ich versuchte mein Glück. Sie zog die dünnen Augenbrauen zusammen, lehnte nach hinten und schaute mir in die Augen. Scheinbar hatte sie meine Frage aus der Routine gebracht. "Ja, ich lese, manchmal." "Was liest du?" "Ich weiss nicht, was liest du?" "Ich mag zum Beispiel Hemingway." Den möge sie auch. "Welches seiner Bücher?" "Ich weiss nicht, welche magst du denn?" "Brave new world", log ich. Das möge sie auch. Ich riss die Etikette von der Bierflasche. Wieso log sie mich an? Schämte sie sich dafür unbelesen zu sein? Oder wollte sie mich einfach beeindrucken?
"Woher kommst du?", wechselte ich das Thema. "Kolumbien. Cali. Kennst du's?" "Die Stadt des Salsa! Du musst eine gute Tänzerin sein!" "Ich liebe tanzen", schwärmte sie, "wenn ich tanze, bin ich glücklich, ich lache dann nur noch. Mein Vater brachte mir Salsa bei, bevor ich laufen konnte. Er hielt mich in den Armen, so etwa" und sie verschränkte ihre Arme zu einer Schaukel, "und tanzte in der Stube, jeden Abend." Dieses Mal lachte sie wirklich, ihre Augen glänzten, ihre Falten zogen sich über die ganze Schläfe. Dort bemerkte ich, dass ihr die meisten Zähne fehlten. Die Schaufeln und ein Eckzahn waren ihr noch geblieben.
"Tanzt du immer noch?" Bei dieser Frage liess sie ihre langen Locken tief fallen, bis sie fast auf ihrem Schoss lagen, und begann, mit dem Strohhalm auf den Limetten herumzustochern. Nach einer Weile sagte sie mit ruhiger Stimme: "Manchmal tanze ich noch, aber es ist nicht mehr dasselbe." Ich riss die Etikette der Flasche in kleine Fetzen und stapelte diese vor mir zu einem kleinen Haufen auf.
"Heute ist vieles anders", sagte sie so leise, dass ich es gerade noch hören konnte. "Entschuldige mich", lächelte sie mich an. Sie wirkte müde. "Ich werde heute ein wenig früher schlafen gehen." Sie stand auf, packte die erloschene Kerze in ihre Handtasche und ging. "Hasta luego.", rief ich ihr nach. Sie drehte sich nicht mehr um.

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