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Das erfolgreiche Kind

© Uwe Hartig


Das erfolgreiche Kind ist kein Zufall, so viel ist jedem wohl klar. Ich kann jetzt nicht mehr, wie noch vor 3 Monaten, einfach die Augen vor dieser Tatsache verschließen. Der Erfolg wird einem nicht in die Wiege gelegt, oder vielleicht doch? Jetzt schaue mir die Tatsache näher an. Sie liegt in dem kleinen Bettchen vor mir und hat einen Namen. Max. Den Namen haben meine Frau und ich gemeinsam gewählt, aus ökonomischen Gründen.
Ich betrachte meinen kleinen Sprössling und mich überkommt eine dunkle Vorahnung. Was wird, wenn ich diesen kleinen Jungen einfach so seinem Schicksal überlasse? Ich betrachte die niedlichen kleinen Füße, die Händchen und das schmächtige Körperchen. Wie soll das Kind in dieser rauen Welt jemals bestehen? Wird es für den täglichen Überlebenskampf in unserer Gesellschaft gewappnet sein? Erneut betrachte ich meinen Sohn und beschließe sofort, dass die alleinige Verantwortung bei mir allein liegt. Es muss etwas getan werden. Sofort.
Jeder Mensch ist ein Individuum. Soweit klar. Doch die an der Spitze stehen, müssen mehr Individuum sein als die anderen. Das Lächeln aus dem Gesicht meines Sohnes verschwindet, als ich ihm sein Kuscheltuch aus der Hand winde und gegen einen Eierlöffel austausche.
Neugierig betrachten seine blauen Augen das glänzende Metall und ich weiß, er wird sich daran gewöhnen.
In Gedanken kann ich die Gespräche auf dem Spielplatz schon erahnen. "Mein Kind hat einen Teddy". "Mein Kind spielt mit einer Puppe." Stolz höre ich mich dann verkünden: "Mein Kind spielt mit..." Hastig tausche ich den Eierlöffel gegen die alte silberne Taschenuhr meines Urgroßvaters aus. Der Tradition wegen. Auch damit scheint mein Sohn einverstanden. Wie bescheiden er doch ist! Doch halt, zu viel Bescheidenheit könnte schaden! Der Kleine beginnt sich gerade mit der Uhr anzufreunden, als ich sie ihm wieder abnehme. Das fällt mir nicht schwer, sein Griff ist noch nicht allzu fest. Warum eigentlich nicht? Ich beschließe, ihm kleine Gewichte an Armen und Beinen zu befestigen, das kann bestimmt nicht schaden und trainiert ungemein. Wäre doch gelacht, wenn sich der übermäßige Babyspeck nicht definieren ließe.
Fernsehen bildet. Bis zum Schulanfang sind es immerhin noch 6 Jahre, was soll sein? Heute ist dein Glückstag mein Sohn! Über die Mattscheibe springen drei dicke Teddys mit Antennen auf dem Kopf. Lala, Lolo, Daaa... Doch auch in den Werbepausen bleibt das Gesicht meines Sohnes regungslos. Oh mein Gott, braucht er vielleicht eine Brille? Gleich morgen beschließe ich einen Augenarzt aufzusuchen. Das wäre ein deutlicher Nachteil gegenüber seinen Altersgenossen. Vorsichtig nähere ich mich seinem Ohr und mache: "BUH" Er fängt sofort an zu schreien. Befriedigt lehne ich mich im Sessel zurück. Gott sei Dank, das Gehör scheint in Ordnung. Nach zwei Minuten verstummt sein Geschrei. Ausdauer scheint seine Sache nicht zu sein. Obwohl er es nicht verdient hat, küsse ich ihn auf seine kleine niedliche Stupsnase. Zuckerbrot und Peitsche, so ist das Leben. Nach noch ein paar Küsschen lacht er richtig. Das geht dann doch zu weit und ich schaue böse. Aber erst als ich ihm meine Zähne zeige, verschwindet das Lächeln. So läuft das mein Sohn, es gibt immer irgendeinen Chef der dir die Zähne zeigt. Du kannst nur hoffen, dass dir selbst bald Zähne wachsen, dann bist du der Chef.
Seitdem ich diese grundsätzlichen Sachen für meinen Sohn entschieden und ihm damit den Weg ins wahre Leben bereitet habe, sind vier Jahre vergangen. Gerade heute habe ich ihn von unseren gemeinsamen Freunden, die selbst keine Kinder haben, abgeholt. Als ich an den Mülltonnen vorbeikam war der Hausmeister gerade dabei eine völlig verängstigte Katze aus der Mülltonne zu locken.
Überglücklich wurde ich in Empfang genommen.
"Euer Kind... also ich muss schon sagen, phantastisch!" "Ach ja...?!" "Ja wirklich. Stell Dir vor, er kann den Fernseher allein einschalten und kennt alle Werbungen auswendig." Nun ja, sie hatten wirklich nicht viel mit Kindern zu tun, sonst hätten sie gewusst, dass eine Fernbedienung für ein durchschnittliches Kind schon mit zwei Jahren keine Herausforderung mehr darstellt. Mit Zwei hatte ich Max gerade einmal beigebracht, wozu der Lautstärkeregler ist. Irgendwann mussten wir uns auch mal ausschlafen. Kindererziehung ist schließlich nicht ohne.
Am hilflosen Lächeln von Renate erkannte ich, dass noch etwas nicht stimmte. Sie schaute Herbert an und der nickte ihr zu. "Mit der Fernbedienung, da macht er immer etwas zu doll." Herbert ging an ein Schubfach im Wohnzimmer und holte eine durchsichtige Plastiktüte heraus. Ich kannte den Anblick von zu Hause. Drei Fernbedienungen die aussahen, als hätte man sie gegen die Wand geworfen. Mein Fehler. Ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern, als er seine erste Fernbedienung in der Hand zerquetschte. Am gleichen Tag nahm ich ihm seine zusätzlichen Gewichte ab, ich hatte sie einfach vergessen.
"Und er spricht etwas schlecht."
Ich hätte ihnen natürlich sagen können, dass das an der silbernen Taschenuhr meines Großvaters lag, auch jetzt zeichneten sich deren Konturen deutlich auf Maxis linker Wange ab. Wie ich fand war das Verhältnis zur Uhr etwas zu innig, aber später würde eine Freundin hier Wunder wirken. Er könnte seine Liebe sozusagen übertragen.
"Und seit heute Morgen ist unsere Katze verschwunden. Max sagt, er hat sie auch nicht gesehen, stimmt's Max?" Max schaute mich grinsend an und schüttelte den Kopf. Seine Zähne blitzten verdächtig.
"Ist sie schwarz?" fragte ich Renate.
"Ja genau!"
"Dann habe ich sie nicht gesehen."
Ich schaute in die enttäuschten Gesichter und sofort tat mir mein kleiner Scherz leid.
"Hat sich bestimmt verlaufen, ich glaube ich habe sie zuletzt in der Müll... im Hof gesehen." was soll ich sagen: Max hat's geschafft, ich bin stolz auf ihn. Er ist First Manager Assistent in einer nicht unbedeutenden Firma, hat sein eigenes Büro und niemals Probleme mit Kollegen. Die Schranke am Pförtnerhäuschen konnte er schon nach drei Monaten ohne nennenswerte Probleme bedienen. Was Erziehung alles ausmacht.

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