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Kurzgeschichte Alltag Kurzprosa Geschichte Erzählung short story

Der Anfang

© Leonhardt Heß


Zwei Jahre zuvor, am gleichen Tag. Es regnet.

"Oder nimm Hunde zum Beispiel. Sie sind das perfekte Beispiel dafür, dass es sein könnte, dass Freuds Theorien widerleg- oder ergänzbar sind."
Sie hat blonde Haare, so wie ich. Nur dass meine lang sind, und ihre kurz.
"Du kriegst nix mehr, dass das klar ist Cecile."
Ich nehme einen Zug. Unter uns fahren die Autos und Lastwagen, kleine dunkle Schiffe auf einer langen, unbestimmten Bahn, sie gleiten dahin, mit ihren tausend Insassen und den Lichtern vor ihrer dicken Nase.
"Also?"
"Also wie?"
"Na, die Theorie."
"Die Theorie. Sieh dir Hunde auf der Straße an. Sie sind, obwohl man eigentlich gar nicht wissen kann oder jemals erforscht hat, was wiederum ein Anzeichen dafür ist, dass diese Theorie noch nicht existiert oder ich Scheiße rede und bereits in den Anfängen ein Indiz oder so was ganz klar diese Theorie widerlegt, kann man davon ausgehen, und das hat vor allem in den letzten Jahren mit diesen vielen Einschläferungs- und Kastrationsfällen zu tun, also dass Hunde mit der Zeit eine gesellschaftliche Entwicklung durchgemacht haben. Sie wurden, stumpf gesagt, immer lieber."
"Was?"
Am liebsten würde ich ihren Kopf in meine Hand nehmen und sie küssen. Sie hat kristallene, blaue Augen. Aber stattdessen höre ich mir ihre Geschichten an und dröhne mich zu, mit Tee und mit…
"Darf ich dich küssen?"
"Ja."
Ich schieße ihm in den Bauch. Er bricht zusammen. Überall Schreie, Leute verstecken sich unter dem blaugrauen Himmel, hinter Pappschildern eines Fast-Food-Restaurants, hinter Bänken aus morschem Holz, in Einkaufsläden aus Glas. Ich nehme mir Zeit, auf seinen Kopf zu zielen. Ich will es gründlich machen. Ich will Doug gefallen.
Blut ergießt sich ruckartig auf die Steine.
Ich nehme Betty mit und mache mich aus dem Staub. Zwei Häuserblocks weiter, dort, wo es ein bisschen ruhiger ist. Dort wartet mein Vater auf mich. Er ist sichtbar froh, mich zu sehen. Er strahlt förmlich.
Ich steige in den Wagen, wir fahren los, langsam, brav, um kein Aufsehen zu erregen. Mir fällt die Geschichte meines Vaters ein, von dem Killer der nach seinem Auftrag geblitzt worden war und dadurch eine riesige Verfolgungsjagd ausbrach. Sie haben den Kerl erwischt. Idiot.
"Hat dich keiner aufgehalten?"
"Wie denn. Die sind doch alle nur feige. Es gibt einfach keine Helden auf dieser Welt." Ich seufze, um meine Aussage zu unterstreichen.
"Ich hab's dir ja gesagt. Sobald der erste Schuss gefallen ist, gibt's für die kein Halten mehr. Dann verkaufen sie dir sogar ihre Großmutter, das sage ich dir."
"Und sicher mehr als das."
Ich lehne mich zurück und genieße noch ein wenig das seichte Hochgefühl das man nach dem Töten bekommt. Ich habe festgestellt, dass es drauf ankommt, ob du bei Tag oder in der Nacht tötest. Das Gefühl das man davon bekommt, ist grundverschieden, anders. Am Tag ist es eher beflügelnd, schön, hochtrabend. In der Nacht ist es einfach nur geil.
Die Augen der Spinne machen mir Angst.
Ich schalte um.
Überall im Fernsehen rohe Gewalt, ich vertrag das in diesem Moment gar nicht gut. Ich hab zu viele Pilze gefressen.
Da, ein Kanal wo Balletttanzen gezeigt wird. Dass so etwas jemand guckt in diesem Land. Doch. Einige bestimmt. Die kleinen dicken Gören denen Papi alles bezahlt was sie sich erkreischen. Die als Sekretärin enden oder als Mörderin. Die alles darum geben würden, einmal richtig glücklich zu sein, auch ohne Schokolade oder Medizin, die der liebe Dr. Hampelkeck ihnen verschrieben hat. Manch ein Mensch würde sogar mit ihnen tauschen wollen.
Ich lache ins leere Zimmer mit dem Fernseher hinein. Einige Minuten.
Ich werde mal einen fragen, dem ich die Kanone vors Gesicht halte. Der würde sicher gerne tauschen. -Ich könnte eine Küchenschürze mit rosa Schleife kaufen, und ihn zwingen, das anzuziehen. Allein der Gedanke daran bereitet mir Jucken im Bauch.
Ich nehme noch einen Pilz. Will den Himmel wieder rosa sehen.
Die Tapete beginnt schon, sich zu bewegen.
"Was glaubst du eigentlich, wer du bist?"
Die Frage meines Vaters hört sich ganz ruhig an, fast so als sei nichts geschehen.
"Ich habe die Nerven verloren."
"Die Nerven verloren?"
"Ja." Ich schließe die Augen.
Die Frau mit den kurzen schwarzen Haaren hinter der Theke bückt sich noch tiefer, ich sehe ihren Kopf aufplatzen.
Immer und immer wieder.
"Das war eine unschuldige Frau."
"Ich weiß."
"Versuch nicht, dich da rauszureden."
"Nein. Mache ich nicht. Bestimmt."
"Was ist denn bloß los mit dir?"
Vater macht so eine große Sache daraus. Aber was ändert es schon, ob der Eine oder der Andere stirbt. Ganz gleich. Alle sind sie Menschen. Nur bei dem Einen haben wir diesen Auftrag, bei dem Anderen nicht. Vater macht das alles sicher nur um sein kaputtes Gewissen aufrecht zu erhalten.
"Ich weiß nicht. Vielleicht sind es die Medikamente."
"Antibiotika machen aus keinem Menschen einen kaltblütigen Mörder."
Vater schaut in die Leere, aber ich sehe, wie er in sich kämpft.
"Vor allem nicht aus einer Elfjährigen."
"Tut mir leid."
Er schlägt mich, ein paar Mal mit der Faust, irgendwo hin. Die meisten Schläge tun nicht einmal weh. Er hat danach wieder diesen verkrampften Gesichtsausdruck und Tränen laufen ihm die Wange hinunter. Ich gehe in mein Zimmer, schließe mich ein, nehme mir den Spiegel und versuche, mit Make-up die geröteten Stellen zu verdecken.
Ich bin noch verabredet.

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