www.online-roman.de
www.ronald-henss-verlag.de

Kurzgeschichte Alltag Kurzprosa Geschichte Erzählung short story

Es bleibt immer noch das Ende

© Michaela Jacksch


Ich glaube, ein Großteil der Menschen hat es sich schon einmal vorgestellt, wie es sein würde, wenn man bei seiner eigenen Beerdigung zu schauen könnte.
Wie viele würden kommen? Wer würde weinen? Auf jeden Fall würde es all denjenigen, die Sie schlecht behandelt haben, jetzt leidtun. Aber nun wäre es zu spät. Geschieht Ihnen recht!
Machen Sie sich nichts vor. Sie werden diesen Augenblick der Befriedigung nicht erleben und stellen Sie sich einmal vor, wie es wäre, wenn kaum jemand erscheinen würde, denn Sie haben völlig übersehen, dass an genau diesem Tag der Sommerschlussverkauf beginnt und ein wichtiges Pokalspiel läuft. Tja, und nun?
Und es ist schwieriger als man denkt, sich umzubringen. Wirklich, manche Möglichkeiten kommen auch einfach nicht in Frage, weil sie so furchtbar unästhetisch sind. Obwohl dieser Gedankengang vermutlich eher weiblicher Natur ist.
Man könnte springen. Aber lassen Sie sich warnen, es ist unglaublich, welche Stürze ein Mensch überleben kann und die Folgeschäden sind fatal. An die damit verbundenen Schmerzen möchte man lieber gar nicht denken.
Schlaftabletten scheinen für Frauen das Mittel der Wahl zu sein. Aber: sind Sie sicher, dass Sie genug haben? Wenn Sie verschiedene Sorten haben, könnten sich die Wirkungen untereinander aufheben. Oder ihr Magen revoltiert und die Pillen bleiben gar nicht drinnen.
Oder sie reagieren paradox, haben 4 Stunden horrormäßige Alpträume und wachen dann mit den furchtbarsten Kopfschmerzen auf. Und mit denen müssen Sie dann zur Arbeit, um nicht aufzufallen.
Sich die Pulsadern aufzuschneiden scheint sicher zu sein. Aber sind Sie sich darüber bewusst, wie tief die Arterien sitzen? Schneiden Sie verkehrt und werden zu früh gefunden, dann kann es sein, dass Sie nie wieder die Hände richtig bewegen können, weil sie sich wichtige Sehnen durchtrennt haben. Außerdem, denken Sie daran, es tut höllisch weh, sich zu schneiden und das gleich zweimal. Und dann die Narben, falls Sie überleben - wenig dekorativ.
Es gibt natürlich noch viele Möglichkeiten, aber denken Sie daran, die Chancen stehen ziemlich gut, dass Sie überleben und was dann?
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie haben genug Schlaftabletten gesammelt und einen geeigneten Zeitpunkt gewählt um diese einzunehmen und tun dies auch. Sie haben ihre Sachen geordnet und fühlen sich gelöst. Sie nehmen die Schlaftabletten und schlafen ein.
Perfekt!
Das Nächste, was Sie erleben, ist das Erwachen in der heimeligen Atmosphäre einer Intensivstation. Sie liegen in einem 4- Bettraum, in dem nicht einmal Trennwände aufgestellt sind. Die Überwachungsgeräte piepsen, die Luft duftet betörend nach Desinfektionsmittel und Ausscheidungen. Sie tragen ein viel zu enges Krankenhaushemd und machen die Erfahrung, wie es sich anfühlt einen Blasenkatheter gelegt bekommen zu haben. Eine ausgesprochen attraktive und sicherlich sehr gut ausgebildete, junge Intensivschwester tritt an ihr Bett. Sie kontrolliert ihren Blutdruck und den Zugang für die Infusion in ihrem Arm, allerdings scheint sie in der Unterrichtsstunde "Umgangsformen" gefehlt zu haben. Kein Vorstellen, kein "Guten Morgen", nicht die Spur eines Lächelns. Dafür ruft sie über ihre Schulter in Richtung Flur "der Suizidversuch ist aufgewacht". Soviel zur Wahrung der Intimsphäre. Es erscheint der Stationsarzt. Es ist schon erstaunlich wie immun frau in manchen Situationen gegen blendendes Aussehen sein kann. Die Aussage des Schönlings, dass der Termin mit dem Psychiater zwecks Weiterverlegung auf dessen Station für den späten Vormittag festgelegt ist, löst Panik aus und schnürt Ihnen die Kehle zu. Also machen Sie sich bewusst, wenn ein Suizidversuch fehl schlägt, landen auf jeden Fall erst einmal auf so einer Station und kaum einer derjenigen, die dort arbeiten, hat sich intensiv damit beschäftigt, wie man psychisch am besten mit Ihnen in einer solchen Situation umgeht. Erwarten Sie auf keinen Fall Mitleid oder Verständnis, nicht an dieser Stelle.
Es kann aber noch schlimmer kommen. Ihr Vorgesetzter, den Sie sehr mögen und den sie sonst stets, vielleicht nicht gerade als sehr warmherzig, aber immer als vertrauenswürdig und entgegenkommend erlebt haben, zweifelt die Ernsthaftigkeit des Suizidversuches an und meinte, es hätte sich wohl um Hustenbonbons gehandelt, ansonsten würden Sie jetzt kaum hier stehen.
Und zum guten Schluss meint der Mann hat Ihrer Seite spöttisch grinsend, Sie wären selbst zu blöd, sich um zu bringen. (Im Übrigen ist er allerdings froh, dass es daneben gegangen ist).
Was sicher ist, Sie können die Verantwortung für Ihren Suizid niemals anderen in die Schuhe schieben. Sie sind immer selbst verantwortlich.
Lassen Sie sich gesagt sein, es gibt immer eine andere Lösung.
Reden Sie erst einmal mit jemandem. Beginnen Sie unverfänglich. Nehmen Sie sich Zeit für die Suche nach jemandem, dem Sie vertrauen können.
Es muss kein Psychotherapeut sein, es kann auch erst einmal jemand sein, von dem Sie wissen, dass er selbst einmal heftige Probleme hat und dem es wieder besser geht.
Schauen Sie im Telefonbuch nach Selbsthilfegruppen, rufen Sie im Kirchenbüro an und fragen nach oder kontaktieren Sie die Telefonseelsorge.
Kanalisieren Sie ihren Mut und mobilisieren Sie ihren Mut, den Sie brauchen, um ihren Suizid zu planen, in die Suche nach einem Gesprächspartner.
Nehmen Sie sich erst einmal nur diesem Schritt vor. Nur diesen!
Alles andere kommt dann!
Falls Sie etwas zur Sicherheit brauchen: Der Tod läuft keinem Menschen weg.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.



»»» Kurzgeschichten   |     Humor   |   Kindergeschichten   |   Tiergedichte   |   Tiergedichte   |   Tiergedichte   |   Tiergedichte   |   Lesebuch   |   Lesebuch   |   Lesebuch   |   Lesebuch   |   Seitenanfang
© Dr. Ronald Henss Verlag