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Unser Buchtipp

Schlüsselerlebnisse

Plötzlich sah die Welt ganz anders aus
Schlüsselerlebnisse
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-6-7

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Besser nie als spät

© Ch. Hann

Phase 1 - Das Warten

Das Problem war einfach, dass es zeitlich nicht gereicht hatte. Wie denn auch? Hätte ich mich vierteilen sollen? OK, ich gebe zu, ich hätte mich einfach aufraffen und mich an die Arbeit machen sollen. Aber ihr wisst ja wie das so ist. Es gibt für so was auch wirklich keine Entschuldigung, nur billige Ausreden. Das weniger Erfreuliche ist ja, wenn andere Dinge davon abhängen. Zudem hatte ich einfach keine Lust. Es kam mir schon fast wie eine Verpflichtung vor. Warum ich auch immer zu allem Ja und Amen sage ist mir bis heute ein Rätsel. Also, was tat ich? Ich beschloss zu warten. Mit dem Warten verhält es sich so: man tut quasi nichts, außer herumzulungern und seine Gedanken kreisen zu lassen. Es ist auf jeden Fall besser als eine Kippe zu rauchen, was bekanntlich der Gesundheit schadet, oder ein Buch zu lesen, was oft dazu führt, dass man sich in die fiktiven schriftlichen Kompositionen aus Wörtern so sehr hineinversetzt, dass so ziemlich alles, was um einen herum geschieht, einfach verblasst. Ich beschloss also nur zu warten. Stumpfsinniges Dasitzen, die Beine übereinander geschlagen und die Leute beobachten. Es war langweilig, aber ich zwang mich dazu durchzuhalten. Vielleicht hatte ich Glück und würde mich aus der Sache irgendwie herauswinden können. Wir hatten Mittwoch und eigentlich hätte ich schon vor einer Woche hier sitzen müssen. Ich stand schließlich auf weil mein Hintern eingeschlafen war. Völlig verärgert ging ich zum Kiosk schräg gegenüber von meiner Sitzgelegenheit. Ein Schild wies ausdrücklich daraufhin, dass Blättern in Zeitschriften nicht gern gesehen war. Ich warf kurz einen Blick auf die Auswahl und beschloss, dass sich das sowieso nicht lohnen würde. Gerade als ich mich umdrehte, blieb mein Herz fast stehen - vor Überraschung wohlgemerkt. Ich sah sie und sie sah mich, zumindest hatte ich das Gefühl, sie würde mich ansehen, aber zwei Sekunden später wurde mir klar, dass sie es nicht tat und zeitgleich wurde mir klar, dass es auch besser so war. Ich rückte meine Sonnenbrille zurecht und blickte um mich. Sie trat neben mich, kaufte eine Zeitung und eine Telefonkarte. Ich hatte wirklich wahnsinniges Glück. Ich meine, vor einer Woche hätte ich schon hier stehen müssen, aber jetzt waren genau sieben Tage und zwei Stunden vergangen und sie war noch immer hier. Natürlich war sie das, aber zu dem Zeitpunkt wusste ich ja nicht, dass es so sein würde. Ich dachte es wäre ein einmaliger Auftrag gewesen. Feste Zeit, fester Ort, keine Gewohnheiten, so eine Art Heute-ist-die-letzte-Möglichkeit-Job. Merkwürdigerweise hatte sich niemand zu Wort gemeldet, weshalb ich ja auch erst gestern den Zettel fand mit der Notiz. Man möge sich an Ort und Stelle einmal vorstellen, welch Schrecken durch meine Glieder fuhr. Eine Woche zu spät! Ich beschloss dennoch so zu tun, als wäre es das besagte Datum und machte mich auf den Weg und tatsächlich hatte sich das dann auch als die perfekte Lösung erwiesen. Für mich wohlgemerkt. Das Geld war ja bereits überwiesen worden.

Ich folgte ihr unauffällig. Darin bin ich ein Meister. Wenn es um unauffälliges Verfolgen und Verkleiden geht, bin ich der Mann. So steht es auf meiner Visitenkarte drauf, gleich unter der Telefonnummer. "Ich bin der Mann für Sie" steht da dick und fett drauf, "Sie" unterstrichen. Ich bin wirklich stolz auf diesen Slogan.

Ich folgte ihr also. Sie ließ sich Zeit - es war in so einer Art Shopping-Center - und machte fast vor jedem Schaufenster halt. Glücklicherweise hatte ich nicht so viel getrunken, sonst hätte sich sicher meine Blase gemeldet. Aber so war das kein Problem, zumal ich der geduldigste Mann auf der ganzen Welt bin. Sie betrat schließlich einen Laden und ich folgte, ich der nahezu Unsichtbare. Dummerweise war es ein Dessousgeschäft. Nicht dass es mir peinlich gewesen wäre, aber in einem Dessousgeschäft herumzudrucksen, das macht einen merkwürdigen Eindruck und fällt auf. Ich machte also kehrt und nahm auf einer Holzbank direkt vor dem Laden Platz. Wieder beschloss ich zu warten. Einfach nur, um eine Beschäftigung zu haben, denn ich war mir ziemlich sicher, dass es länger dauern würde.

Es dauerte etwas mehr als länger. Um genau zu sein dauerte es etwa drei Stunden, dann kam sie mit zwei riesengroßen Taschen hinaus und stellte diese erst einmal ab, was mich etwas stutzig machte. Nicht das Ablegen, sondern die Anzahl - genau zwei! Zwei war auch der Name des Dessousladens und Zwei stand auch auf der Notiz. Wieso ich die Zahl so groß auf den Zettel geschrieben hatte, wusste ich allerdings nicht mehr. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass es irgendwie wichtig gewesen war. Ich beschloss zu dem Zeitpunkt jedoch, dass es besser wäre, nicht über den Sinn der Zwei nachzudenken, sondern schlicht und ergreifend meinen Job weiter zu machen.

Sie kramte in ihrer Handtasche und holte schließlich ihre Sonnenbrille hervor, die sie aufsetzte. Dann nahm sie die Taschen wieder auf und ging langsamen Schrittes weiter, in die Richtung aus der sie gekommen war. Ich folgte profimäßig, versteht sich, und stieß dabei unauffällig mit einigen anderen Leuten zusammen, die mich anstarrten, als ob sich direkt unter meiner Nase etwas Komisches befinden würde. Ich fasste dennoch an die Stelle, wenn auch eher aufgrund der Blicke als aus reiner Zweckmäßigkeit und griff in Ketchup, was nicht verwunderlich war. Der Geruch hatte mich seit meinem Mittagessen am Bahnhofsimbiss verfolgt und scharfsinnig wie ich bin, war mir während der ganzen Zeit auch bewusst gewesen, dass irgendetwas nicht stimmen konnte. Ein weiterer Fall war also gelöst und das zeitgleich mit einer Verfolgung, die ich gerade professionell zu meistern begann. Besser konnte es einfach nicht mehr kommen! Und doch - es kam besser! Sie blieb wieder am Kiosk stehen und kaufte dieses Mal eine Zeitschrift, die mir allerdings unbekannt war. Sie rollte das Heftchen zusammen und steckte es in eine der Taschen. Ich merkte mir welche - es war jene, auf der eine große Zwei auf der rechten Seite zu sehen war. Weiter ging es mit dem spannenden Auftrag. Während ich ihr folgte, dachte ich darüber nach, was mein Auftraggeber eigentlich genau von mir gewollt hatte. Ich muss zugeben, zu jenem Zeitpunkt wusste ich es nicht mehr. Nicht mehr, wohlgemerkt! Normalerweise weiß ich so was immer, aber es war mir aus unerfindlichen Gründen entfallen. Ich grübelte nach und kam schließlich zu der Theorie, dass es etwas mit der Zahl Zwei zu tun haben musste. Denn über deren Bedeutung wusste ich ebenso nichts mehr. Der Zusammenhang war klar, die Situation lag auf der Hand! Jemand hatte mir etwas ins Trinken gemischt, oder wohl besser gesagt ins Essen! Der Imbissbudenmann! Er hatte mir noch einen Guten Appetit gewünscht. Vermutlich wusste er es oder wurde sogar beauftragt, mir ein Mittel hineinzumischen, das mich vergesslich machen würde. Und es erklärte auch, wieso ich den Ketchup nicht bemerkt hatte - weil ich vergessen hatte, mich mit der Serviette abzuwischen! Bingo! Wieder ein Rätsel gelöst! Der Imbissbudenmann hatte mir also eine Art Droge verpasst, die meine Erinnerungen löschte. Ich würde mir den Kerl auf jeden Fall später vorknöpfen, aber zunächst musste ich herausfinden, was es mit der Frau auf sich hatte.

Die stand jetzt vor einer Tür. Ein Strichmännchen war davor zu sehen, ein weibliches um genau zu sein. Vermutlich war das irgendein Geheimzeichen oder so etwas. Mir kam es auf jeden Fall bekannt vor, allerdings musste ich auch dieses Mal wieder feststellen, dass sich in meinem Gehirn keinerlei Informationen darüber befanden. Die Droge schien ihre Wirkung zu tun. Ich musste schnellstens etwas unternehmen, bevor sie mein ganzes Gedächtnis löschen konnte. Ich beschloss einmal mehr zu warten, denn die Frau ließ ihre Taschen vor der Tür stehen und ging in den Raum dahinter. Aufgrund meiner hervorragenden Positionierung und meinem geschulten Medusa-Beobachtungsblick - eine ziemlich eindrucksvolle Art des Blickens und vor allem Hindurchblickens, denn wenn ich die Augen richtig verdrehte, und das war oft ein sehr schwieriges Unterfangen, konnte ich sogar teilweise durch Türen und dünne Wände spähen - konnte ich erkennen, dass der Raum dahinter weiß gefliest war. Dann jedoch fiel die Tür auch schon wieder ins Schloss. Ich ergriff sogleich diese Gelegenheit beim Schopfe und stürmte auf die Tüten zu. Ich musste herausfinden, was diese Zeitschrift beinhaltete, die sie zuletzt gekauft hatte. Vielleicht war darin eine verschlüsselte Nachricht. Ich stand also vor den beiden Taschen und es lief mir kalt den Rücken herunter. Beide Taschen hatten eine große Zwei auf der Seite und nun kam das größte Problem. Je nach dem wo ich stand, waren die Zweien entweder links oder rechts. Aber in welcher war jetzt die Zeitschrift? Ich hatte es vergessen. Dieses Mal beschloss ich, nicht zu warten. Ich sah mich um, jedoch schien mich niemand zu beobachten. Ich nahm die Taschen an mich und lief unauffällig weg, bis ich etwa weit genug entfernt war, dass man mich nicht sofort entdecken würde. Die Frau kam nach kurzer Zeit wieder heraus und erstarrte. Sie blickte um sich, doch sie konnte die Taschen nicht entdecken. Sie ging nochmals in den Raum hinein, wieder hinaus, wieder hinein, schließlich wieder hinaus und blieb dann davor stehen. Der richtige Augenblick schien gekommen. Ich ging zum Angriff über ...

Phase 2 - Der Angriff

Ich lief eilig auf sie zu und wie erwartet starrte sie mich unverwandt an. Sie wollte gerade wohl etwas sagen, als ich geschickt meine Rolle als Helden spielte.

"Ich hab sie wieder, Ihre beiden Taschen!" Ich keuchte ein bisschen laut, stellte die Tüten ab und atmete tief ein. "Mann, das war vielleicht eine Aktion. Hatten Sie ein Glück, dass ich sie vorher gesehen hatte, wie sie die Taschen abgestellt hatten. Sonst hätte ich vermutlich den Dieb für den eigentlichen Besitzer gehalten und dann wären sie Ihr Einkäufe los gewesen ..."

"Sie haben ...?", fragte sie und ich merkte sofort, dass die Masche zog. Sie sah mich bewundernd an, wie konnte es anders sein.

"Ja, hab dem Typen die Taschen wieder abgeluchst! Ist ja wohl das Mindeste, ich meine wir leben in einer zivilisierten Welt. Wir müssen das Böse bekämpfen!"

"Äh, ja gut. Ich danke Ihnen vielmals. Kann ich irgendwie ... Möchten Sie vielleicht einen Kaffee mit mir trinken? So als kleine Entschädigung wenigstens?"

Jetzt hatte ich sie, die kleine Maus und ich, die große Katze, würde bald zuschlagen. Doch erst musste ich sie umgarnen, damit meine Tarnung als Katze nicht aufflog.

"Ach kommen Sie, das ist wirklich nicht nötig. Außerdem ..."

"Nix da. Keine Ausreden. Sie kommen mit. Los, seien Sie nicht so! Wenigstens damit ich ein gutes Gewissen bekomme ..."

Ich druckste noch ein bisschen herum, kratzte mich nachdenklich am Arm und willigte schließlich mit einem charmanten Lächeln ein. Sie zwinkerte mir erfreut zu und ich bat ihr meine Hilfe beim Tragen an. Was sie für eine nette Geste hielt, war für mich Strategie. Ich musste herausfinden, in welcher Tasche die Zeitschrift war, und das ging nur wenn ich beide Taschen trug. Durch den Gewichtsunterschied, so schloss ich, würde ich fühlen, wo die Zeitschrift drinnen war. Ich nahm also die Taschen am mich und wir gingen auf schnellstem Wege zum nächsten Café. Schweiß tropfte mir beinahe die Stirn herunter vor lauter Anstrengung. Nicht weil die Taschen so schwer waren, nein. Es war die mentale Belastung. Immerhin versuchte ich die Zeitschrift zu finden, indem ich das Gewicht beider Taschen zu erfassen versuchte, dann den Gewichtsunterschied abschätzen und schließlich das Ergebnis auswerten musste. Es waren unglaublich anstrengende fünf Minuten und dann standen wir vor dem Café, sie im Begriff sich zu setzen, vermutlich aber darauf wartend, dass ich ihr einen Platz anbot und ich etwas dusselig wirkend vor dem Tisch stehend, den Gewichtsunterschied der Taschen zu ermitteln versuchend.

"Stimmt etwas nicht?" Sie drehte sich um und blickte mich fragend an. Ich schüttelte langsam den Kopf. Wenn ich die Taschen jetzt abstellte, würde ich sie nie mehr in der Hand halten können und dann würde ich niemals herausfinden, wo die Zeitschrift drin war.

"Ach so, entschuldigen Sie bitte. Ich nehme Ihnen die Taschen ab ..." Und damit auch meine Entscheidung. Vermasselt! Sie setzte sich und stellte die Plastiktüten neben sich. Ich setzte mich ebenfalls auf den Stuhl und seufzte.

"Na wenn das nicht ein großer Zufall war. Ich meine, Sie haben mich gesehen und dann auch noch beobachtet wie der Dieb meine Taschen stahl und dann haben Sie sie zurückgeholt! Sie sind mein Held!" Sie lachte, ein nettes, angenehmes Lachen. "Was möchten Sie denn trinken? Einen Kaffee? Oder vielleicht lieber einen Saft oder ...?"

"Einen Tee bitte, Schwarztee wenn's geht mit einem Schuss Milch und ohne Zucker ..." Ich versuchte locker rüber zu kommen und es gelang mir auch ohne weiteres ziemlich gut. Innerlich glich ich einem zappeligen Fünfjährigen, der auf den Weihnachtsmann wartete. Nein, es war vielmehr wie ein Sechseinhalbjähriger, der seine Zahnspange nicht finden konnte. Ich war fix und fertig - was sollte ich denn tun? So nah am Ziel und doch so fern. Sie erhob sich derweil um zu ordern. Verwunderlich, immerhin gab es eine Bedienung. Ich schielte unter den Tisch. Da waren sie, beide Taschen, prall gefüllt mit Dessous, einer Zeitschrift und einer Zeitung. Einer Zeitung? Einer Zeitung! Natürlich! Sie hatte vor dem Einkauf eine Zeitung und eine Telefonkarte besorgt. Letztere hatte sie wohl in ihrer Handtasche verstaut, aber die Zeitung musste in einer der Taschen sein. Das erklärte wiederum alles. Vermutlich ..., nein, ich war mir ziemlich sicher. In einer Tasche war die Zeitung und in der anderen die Zeitschrift. Es schien das einzig logische, denn sonst hätte ich den Gewichtsunterschied sofort bemerkt. Die Sache wurde mir langsam unheimlich. Ob sie wohl wusste, dass man sie verfolgen ließ? Zumindest hatte sie bisher gut aufgepasst. Zwei identische Taschen, beide gleich schwer. Und was war mit der Zeitung? Vielleicht stand dort etwas drinnen? Ich musste es herausfinden.

Sie kam wieder an den Tisch, setzte sich und hob eine der Taschen hoch.

"Ihr Tee kommt gleich!" Sie zwinkerte mir freundlich zu. "Und was machen Sie eigentlich hier? Haben Sie auch was eingekauft?"

War es eine Fangfrage? Ich konnte es mir nicht anders erklären. Ich schluckte nervös und blickte mich um. Gut, sie wollte mit mir spielen. Dann sollte sie das bekommen, was sie wollte. Ich würde ihr schon zeigen, dass ich ein guter Privatdetektiv war.

"Nun, ich möchte noch etwas kaufen. Allerdings bin ich etwas unentschlossen. Und zwar suche ich etwas für meine Frau ..."

"Ihre Frau? Oh, Sie sind verheiratet ..." Sie blickte mich unschlüssig an, doch ich konnte genau erkennen, dass es sie innerlich fertig machte. Natürlich hatte ich gelogen. Verheiratet war ich nicht. Nicht in diesem Metier, das war zu riskant. Aber ich wusste genau, dass sie sich wünschte, ich wäre nicht verheiratet, wie sie es nun von mir dachte.

"Ja und das sehr glücklich. Wissen Sie, einen Partner zu haben ist für mich außerordentlich wichtig. Sind sie auch verheiratet?"

"Ich war es ..." Sie blickte zu Boden. "Aber darüber möchte ich nicht sprechen ..."

"Oh, natürlich ..." Ich heuchelte Verständnis, aber ich wusste nur zu gut, dass ich ihren wunden Punkt gefunden hatte. Als geschulter Psychologe der ich war, konnte mir so etwas einfach nicht entgehen. Ich wechselte geschickt das Thema, um sie ein bisschen mehr aus der Reserve zu locken.

"Lesen Sie gerne?" Ich fragte höflich und tat so, als ob ich sehr interessiert wäre.

"Gelegentlich die Zeitung und die Vogue ..." Sie lachte herzlich und ich wusste warum. Sie wollte diese Bemerkung, die ihr zufällig herausgerutscht war, überspielen. 'Vogue' das war Französisch, sofern ich mich erinnern ... nein, ich war mir absolut und hundert... nein, tausendprozentig sicher! Ich ließ mein Gehirn den Namen der Zeitschrift mehrmals leise aussprechen und nach wenigen Augenblicken hatte ich auch schon die Übersetzung. 'Vogue' konnte nur ‚Geheim' bedeuten. Es war auch ganz einfach vom Wortstamm und der Aussprache abzuleiten gewesen. 'Vogue' das klang wirklich geheimnisvoll und das Wort 'vage' war sicherlich damit verwandt. Und 'vage' das bedeutete soviel wie nebulös. Und Geheimnisse waren eindeutig nebulös. Ich war also auf der richtigen Fährte. Die Frau hatte Geheimnisse und diese hingen mit der Zahl Zwei zusammen. Doch wie konnte ich die codierten Stellen in der Zeitschrift finden? Und dazu noch ohne sie misstrauisch werden zu lassen. Ich entschloss mich für die direkte Konfrontation.

"Vogue? Tut mir leid, meine Frau liest viel, aber dieses Buch kenne ich nicht. Es ist doch was für Frauen nicht wahr?" Den letzten Satz betonte ich besonders. Sie lachte erneut und kramte in ihrer Tasche.

"Oh, Sie irren sich. Es ist kein Buch, sondern eine Zeitschrift ... sehen Sie?" Sie holte die Zeitschrift heraus. Ich war dem Zielobjekt zuvor noch nie so nahe gewesen. Ich sog die Luft scharf ein und warf einen Medusa-Beobachtungsblick auf das Titelblatt. Sie schien es nicht bemerkt zu haben, was natürlich klar war, weil niemand diesen Blick kannte. Ich erspähte eine Frau auf dem Titelbild, sehr attraktiv und modisch gekleidet, daneben kleinere Abbildungen von neuen Kosmetikartikeln. Dann fiel mir eine Abbildung auf. Es war ebenfalls eine Frau in Damenunterwäsche und neben dem Bild stand gedruckt 'Neue Dessous für jeden Geschmack von 2'. Ich war sozusagen auf die Goldader gestoßen! Jetzt musste ich nur noch einen Blick hineinwerfen und als ob heute nicht schon genug Wunderliches passiert wäre, servierte sie mir mein größtes Verlangen auch schon auf dem Silbertablett.

"Aber Sie hatten Recht. Es ist eine Frauenzeitschrift. Werfen Sie doch mal einen Blick hinein ..." Sie lächelte mich an und gab mir die Zeitschrift hinüber. Ich konnte mein Glück einfach nicht fassen. Freundlich lächelnd nahm ich das Objekt entgegen und schlug behutsam die erste Seite auf.

"Würden Sie mich vielleicht entschuldigen? Ich müsste noch mal auf die Toilette. Fangen Sie mit Ihrem Tee ruhig an, falls ich noch nicht da bin ..." Sie erhob sich und ging leichtfüßig, nein, eher mit einem sexy Gang in Richtung Damen-WC. Das war perfekt. Ich schlug Seite für Seite um und suchte die Texte nach Informationen ab. Und schließlich fand ich den Eintrag über den Dessousladen '2'. Ich las den Bericht aufmerksam. Es gab wohl schon andere Frauen, die mit der Sache zu tun hatten, denn einige berichteten von Erfahrungen, die sie gemacht hatten mit '2'. Dann fand ich, was ich suchte ... 'Black Desire eignet sich sehr für düstere und lüsterne Spielchen mit Ihrem Sklaven ...'

Es konnte sich nur um einen versteckten Hinweis handeln. Vermutlich ging es hier um eine geheime Organisation, die andere Menschen entführte, sie folterte und schließlich als Sklaven irgendwo in Bangladesh verkaufte. Ich schrieb 'Black Desire' auf eine Serviette und steckte sie ein. Dann blätterte ich weiter, um nach weiteren Informationen zu suchen. Ich war mit der Zeitschrift fast fertig, als sie schon wieder kam.

"Oh, wie ich sehe, scheint Ihnen das Heft ja zu gefallen. Wissen Sie was? Behalten Sie's einfach. Ihre Frau wird sich freuen. Ich kaufe mir einfach ein anderes ..."

Ich erstarrte. Bot sie mir wirklich die Informationen an? Ohne mit der Wimper zu zucken? Oder war es nur ein Bluff? Meine Improvisationskunst war jetzt gefragt. Ich musste sie auf die Probe stellen.

"Ach das ist aber sehr nett von Ihnen. Aber das Geld gebe ich Ihnen, wenn Sie nichts dagegen haben, immerhin ist die Zeitschrift nicht gerade billig gewesen, oder?" Ich betonte das 'oder' enorm. Sie schien es jedoch nicht als Fangfrage aufzufassen und zu meiner allergrößten Verwunderung schüttelte sie ablehnend den Kopf.

"Ach was. Die paar Euro. Sie haben doch meine Unterwäsche gerettet ..." Sie lachte wieder herzlich und dieses Mal entlockte sie mir ein breites Grinsen, was mich innerlich zutiefst aufwühlte. Sie konnte mich manipulieren! Ich musste aufpassen.

"Unterwäsche?", fragte ich neugierig, wobei ich ja natürlich wusste, dass sie welche gekauft hatte. Immerhin hatte ich ja vor dem Laden gestanden und hatte auf sie gewartet.

"Klar. Wollen Sie mal sehen?" Wieder lachte sie. "Ach, ich mach nur Spaß. Ich albere gerne ein bisschen herum. Aber wenn Sie möchten, zeig ich sie Ihnen trotzdem. Natürlich nicht an meinem Körper. Das wäre doch zu viel des Guten ... oder wie denken Sie darüber?"

Sie zwinkerte mir zu und leckte sich die Lippen. Es war ein genüssliches Lippenlecken und das Augengezwinker war alles andere als zweideutig. Es war eindeutig! Sie wollte mich verführen, um mich dann kaltherzig in meinem eigenen Blut liegen zu lassen. Zum Glück hatte ich es erkannt. Ich wappnete mich für die nächsten Bemerkungen, indem ich mein Wörterbuch in Gedanken durch ging und nach Formulierungen suchte, die ich für die passende Ausrede benötigen würde. Ich wurde nach nur wenigen Sekunden fündig.

"Nein, lassen Sie's gut sein. Aber ich denke, die Dessous werden Ihnen auf jeden Fall prima stehen. Ich meine, so gut, wie sie aussehen ..." Mein Herz klopfte ein wenig. Ich musste mich zusammenreißen. Wenn das in die Hose ging, würde ich meinen Beruf an den Nagel hängen müssen - womöglich an einen Sargnagel.

"Na wie Sie meinen." Sie wirkte etwas kühl auf mich, jetzt nach dieser Abfuhr. Hatte sie wirklich damit gerechnet, dass ich zusagen würde? Zumal ich sie ja im Glauben gelassen hatte, dass ich verheiratet war. Ich atmete schließlich tief durch und beschloss, dass es Zeit war, die Sache zu beenden ...

Phase 3 - Der Abgang

Ich trank meinen Schwarztee in großen Zügen leer, betonte dabei, wie gut er sei und dass ich noch nie einen so guten Schwarztee getrunken hätte, wobei ich mir natürlich ständig die Zunge verbrannte, weil das Getränk zu heiß war. Aber für den perfekten Abgang nahm ich alles in Kauf. Ich hatte die Zeitschrift, die gesuchte Information, und jetzt musste ich einfach nur noch die Sache sauber beenden. Sie kam sich wohl geschmeichelt vor, wir plauderten noch ein bisschen über Verandas und Parkettböden und schließlich schüttelten wir Hände und sie gab mir ihre Telefonnummer. Besser hätte es nicht kommen können. Falls ich nochmals auf sie zugreifen musste, hatte ich die Möglichkeit, sie erneut aufzusuchen. Zudem versicherte sie mir, dass sie sich sehr freuen würde, von mir zu hören. Ich stutzte, dann wurde mir ein weiteres Detail dieses großen Rätsels klar. Sie war wohl nur eine Marionette gewesen und sollte mir ohne es zu wissen dazu verhelfen, an die richtigen Informationen zu kommen. Jetzt erinnerte ich mich auch wieder, was es mit der großen Zwei auf meinem Notizzettel auf sich hatte. Mein Auftraggeber hatte mir mitgeteilt, dass ich darauf achten sollte, wohin die gesuchte Frau ging, denn die richtige würde in den Dessousladen '2' gehen. Damit war das Rätsel um die '2' erst einmal gelöst.

Auf dem Weg zu meinem Büro konnte ich gerade so noch beherrschen, nicht wie ein Siebendreivierteljähriger Luftsprünge zu machen. Der Tag war erfolgreich verlaufen und der Auftrag vorerst ausgeführt. Mit der 'Vogue' in meiner Rechten marschierte ich stolz und mit gehobener Brust durch die Eingangstür, den langen Korridor, die rechte Treppe bis in den vierten Stock hinauf, den Gang nach links, an den ersten zehn Türen vorbei, direkt in mein Büro, nein, vor mein Büro, um festzustellen, dass die Türe abgeschlossen war. Während ich mit meiner linken Hand die Hosen- und Jackentaschen durchsuchte und mit der Rechten die 'Vogue' fest umklammerte, sodass sie mir nicht abhanden kommen würde, streiften meine Adleraugen den Fußboden direkt vor der Türe und entdeckten dort einen mysteriösen Briefumschlag. Sofort blies ich die Suche nach meinem Schlüssel ab und widmete meine volle Aufmerksamkeit dem geheimnisvollen Objekt zu meinen Füßen.

Vorsichtig bückte ich mich und wiegte das Stück gefaltete Papier in der Hand. Eine Bombe war nicht darin, den massiven Gewichtsunterschied hätte ich sofort bemerkt. Erleichtert öffnete ich den Umschlag und eine Notiz kam zum Vorschein.

"Besser nie als spät" stand in großen Buchstaben auf dem Papier. Noch verstand ich den Sinn dieser Worte nicht, doch bald würde ich ihn ergründen und diesem neuen Rätsel auf die Spur gehen und es mit einer Perfektion meistern, die die Welt noch nie gesehen hat. Ich musste nur noch den Schlüssel zu meinem Büro finden ...

Eingereicht am
13. Januar 2008

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