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Eingereicht am
10. März 2007

Verhängnisvolle Suche

© Axel Wipprecht

Schnee, eisiger Wind, es ist schon dunkel selbst für diese Jahreszeit viel zu früh. Ihre Schuhe haben kein Profil, der glatte Untergrund bietet keinen Halt, nur mühsam kommt sie voran. Im grauem Licht der Straßenbeleuchtung verschwimmen die Hausnummern aus einiger Entfernung zu Gegenständen ihrer Fantasie, nur durch näheres betrachten entwirren sich die Konstrukte ihrer Vorstellungskraft, Zahlen werden sichtbar. Nach dem sie die ganze Straße abgelaufen ist erkennt sie am vorletzten Haus die Nummer die sie sucht. 23 ist deutlich zu lesen, denn ein 200 Watt Scheinwerfer, mit einem Bewegungsmelder gekoppelt, erleuchtet den Eingangsbereich. Das Haus hat einigen Abstand zu den Nachbargebäuden, im Vorgarten kreisrunde Büsche, neben dem Haus ist der Boden links und rechts merkwürdig aufgraut und umgewühlt. Der Fußweg zur Eingangstür ist nicht geräumt, langsam mit ächzendem Geräusch knackt der Schnee unter ihren Schuhen während sie läuft. Es gibt keine Klingel. Nur ein hand großer, Messingfarbener Löwenkopf durch dessen Nase ein kreisrundes nach unten dicker werdendes Gewicht hängt, welches als Anschlag dient. Sie klopft. Eine ältere Frau öffnet. Nach kurzer formaler Begrüßung laufen beide eine in die Jahre gekommene hölzerne Wendeltreppe hinauf, zwischen zweitem und drittem Stock, auf halber Treppe, stoppt die Alte vor einer vanillegelben Tür. Mit dem Satz "So das ist es." dreht sie den Schlüssel im Schloss und öffnet die Tür. Sie treten ein, stickige Luft, eine Lampe in der Mitte des Raumes gibt gerade so viel Licht, dass man Möbel und anderes Inventar erkennt. Der Raum hat das Flair einer 60`er Jahre Wohnung zugestellt mit Antikmöbeln, gelbe Gardinen und Blümchentapete geben diesem Raum etwas zeitlos Hässliches. Auf die Frage, ob es ihr gefällt antwortet sie "hübsch hier".

Unten klopft es, die Alte entschuldigt sich verspricht, dass sie gleich wiederkommt und verschwindet durch die vanillegelbe Tür. Den Raum durchstreifend betrachtet sie alles genau. Alle Gegenstände haben ihren eigenen Scharm. Allerdings passt nichts zu einander. Auf einmal Stimmen, schnelle stampfende Schritte im Treppenhaus, eine Frau schreit um Hilfe, es folgen dumpfe Schläge. Angst macht sich in ihrem Körper breit, sie schließt die Augen und versucht etwas zu hören. Nichts. Stille. Langsam geht sie zur Tür, ihr Herz beginnt zu rasen, der Atem wird kurzer, dass Blut gefriert ihr in den Adern. Durch einen schmalen Spalt, den die Tür offen steht, blickt sie nach außen. Mit den Augen schweift sie dem Treppenhaus empor, da im Eingangsbereich der Wohnungen im dritten Stock Blutspritzer an der Wand ein Fuß der über die Treppe hinwegragt. Sie öffnet die Tür langsam, nahezu ohne Geräusch, die Angst weicht der Neugier, vier schnelle Schritte und sie ist oben. Eine blonde Frau liegt ausgestreckt mit dem Gesicht zum Boden im Eingangsbereich, der gegenüberliegenden Mietswohnungen. Hand und Fußgelenke zeigen deutliche Spuren von Fesseln, aus Mund und Nase läuft tief rotschwarzes Blut, keine Atmung, die grünen Augen schauen kalt und ohne Ziel in den Raum. Plötzlich steht ein Mann vor ihr sie schauen sich Tief in die Augen, ein Moment in dem der Atem stockt, sich alle Muskeln anspannen und sie kurzzeitig bewegungsunfähig machen, ein Moment der ein Wimpernschlag andauert aber ein Gefühl minutenlanger Starre bedingt. Seine Augen haben ihn verraten. Die Zeit so schnell wie möglich zu verschwinden ist gekommen. Adrenalin strömt durch ihre Adern, ohne nachzudenken dreht sie sich um und stürmt die Treppe hinunter, alles passiert automatisch, Instinkt und Überlebenswille steuern sie. Die Haustür steht offen, davor liegt lang ausgestreckt die Alte. Flucht auf die Straße, menschenleer, hinter ihr fällt die Haustür wuchtig ins Schloss, der Verfolger dicht auf. "Renn um dein Leben" ist ihr einziger Gedanke. Mit langen schnellen Schritt auf Distanz, kann sich aber trotz größter Anstrengung nicht von ihm lösen. Der Geschmack von Blut auf ihrer Zunge zeigt das kommende Ende ihrer Leistungsfähigkeit an. Eine Autotür fliegt auf, noch wenige zehntel Sekunden bis zum Aufprall, ein knirschender Schlag stößt sie um, eine Stimme ruft "sorry".

Finsternis.

Lange, dünne Lichtstrahlen stechen in ihre leicht geöffneten Augen. "Wo bin ich" ist ihr erster Gedanke. Sie liegt in einem Bett in einem kleinen romantisch eingerichteten Schlafzimmer, ein Blick unter die Bettdecke zeigt, dass sie nackt ist. Im Nachbarzimmer rührt sich etwas, ein junger Mann betritt das Zimmer und setzt sich neben sie aufs Bett. Ihre Augen sind geschlossen, Schlaf zu simulieren ist mit ihrer innerlichen Anspannung nicht möglich. Es platzt aus ihr heraus "Wer sind Sie, was machen Sie mit mir?" Seine Bewegungen bleiben ruhig und bestimmt, ein breites, sanftes Lächeln und ein milder Blick treffen sie.

Karin Reddemann: Gottes kalte Gabe Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 3-9809336-3-6 Karin Reddemann
Gottes kalte Gabe

Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-3-6

kleine mysteriöse Welten, in denen es sowohl gruselig und unheimlich zugeht als auch ironischwitzig und ein wenig erotisch. Und fast immer raffiniert überraschend.
Westdeutsche Zeitung


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