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Patricia Koelle: Das Traumnest

Patricia Koelle
Das Traumnest
Wie kleine Träume groß werden

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Das Traumnest

© Patricia Koelle

"Du darfst noch mal zum Strand gehen, Daniel", sagte Mama nach dem Abendessen. "Aber nur bis zu der schiefen Palme."

Die schiefe Palme war Daniels Lieblingsplatz. Sie war so schief, dass man auf ihrem Stamm sitzen und mit den Beinen baumeln konnte wie auf einem Schaukelpferd.

Es waren Daniels erste Sommerferien. Danach würde er in die zweite Klasse kommen. Daniels Papa fand, dass die ersten Sommerferien etwas ganz Besonderes sind. Deswegen hatten sie in diesem Jahr eine weite Reise gemacht, in ein Land, in dem das Wasser im Meer so warm war wie in der Badewanne zuhause. Außerdem gab es da so viele Sterne am Himmel, dass es Daniel ganz schwindlig wurde, wenn er nach oben guckte.

Die Sonne fing gerade an, rot zu werden und unterzugehen, da sah Daniel von seinem Sitzplatz auf der Palme aus etwas sehr Großes, Dunkles aus den Wellen auftauchen. Es wurde immer größer. Ganz langsam krabbelte es an Land. Daniel vergaß vor Schreck beinahe zu atmen. Was, wenn es ein Seeungeheuer war?

Aber als es näher kam, fürchtete er sich nicht mehr. Oder höchstens ein bisschen. Das war ja eine Schildkröte! Er kannte Schildkröten, denn seine Tante hatte eine, die er manchmal mit Salat füttern durfte. Die war aber nur so groß wie seine Hand. Diese hier war so groß, dass Daniel darauf hätte reiten können. Ob sie doch gefährlich war?

Eigentlich sah sie nur sehr müde aus. Daniel sprang von der Palme und ging vorsichtig auf die Schildkröte zu.

"Hallo, ich bin Thea", sagte diese leise.

Daniel staunte. "Warum kannst du sprechen?", fragte er.

"Ich bin über hundert Jahre alt", sagte sie, "ich habe schon sehr viele Menschen getroffen. Außerdem lernt man viel, wenn man so lange lebt."

"Bist du deswegen so müde?", wollte Daniel wissen.

"Ja, wahrscheinlich", sagte Thea. "Bist du jemand, der ein Geheimnis bewahren kann?"

"Ich verpetze nie jemanden", versicherte Daniel.

"Das ist gut", meinte Thea. "Ich muss nämlich ein tiefes Loch graben, in das ich meine letzten Eier legen kann. Aber das ist sehr schwer, wenn man so alt und so langsam ist. Könntest du mir wohl helfen?"

"Klar helf ich dir". Daniel suchte sich eine große Muschelschale und fing mit aller Kraft an, ein Loch in den Sand zu buddeln.

"Wunderbar", sagte Thea. "Es könnte nur noch ein bisschen größer sein. Damit meine Kinder auch wirklich in Sicherheit sind. Wir wollen ja nicht, dass eine Möwe sie findet. Oder ein Waschbär. Es gibt sogar Menschen, die Schildkröteneier essen, wenn sie sie finden."

Daniel musste ganz schön schwitzen. Er wusste jetzt, warum Thea Hilfe gebraucht hatte. Als das Loch endlich tief genug war, drehte sie sich mühsam um, und Daniel durfte zusehen, wie lauter runde weiße Eier unter ihrem Schwanz hervorrollten, eines nach dem anderen, und in das Loch kullerten.

"Fertig", schnaufte Thea nach einer ganzen Weile. "Jetzt bin ich aber froh. Du hast eine Belohnung verdient. Leider kannst du nicht auf mir reiten. Das schaffe ich nicht mehr. Ich bin alt, und du bist schon ein ziemlich großer Junge. Lass mich nachdenken!"

Weil Schildkröten nicht die Stirn runzeln können, schloss sie zum Nachdenken die Augen. Sie dachte sehr lange nach. Schildkröten haben viel Zeit. Es war schon beinahe dunkel. Daniel hoffte, dass sein Vater nicht zu sehr schimpfen würde, weil er so spät nach Hause kam.

"Hast du einen Traum?", fragte Thea schließlich.

"Was denn für einen Traum?", fragte Daniel.

"Zum Beispiel einen ganz besonderen Wunsch, der sich erfüllen soll, wenn du groß bist. Vielleicht möchtest du einmal um die Welt segeln oder träumst du davon, Musik zu machen und alle hören dir zu. Oder du würdest gern Astronaut werden und zum Mars fliegen. Vielleicht möchtest du auch einfach nur einen Hund haben. Aber du darfst den Traum nicht verraten."

Daniel dachte nach. Doch, da wusste er etwas.

"Gut", sagte Thea, "dann wirf den Traum zu den Eiern in das Loch."

Daniel fand das merkwürdig, aber er wollte nicht unhöflich sein. Also dachte er sich seinen Traum in seine Hände und warf ihn in das Loch. Natürlich konnte man ihn nicht sehen.

"Und nun mach das Loch vorsichtig wieder zu, so dass niemand sieht, dass hier jemand gebuddelt hat", sagte Thea.

Daniel schob den ganzen Sand behutsam wieder in das Loch. Danach fegte er mit einem Palmenwedel darüber, damit man die Spuren seiner Finger nicht sah. Und dann streute er noch ein paar kleine Muscheln darauf, so wie sie überall herumlagen. Jetzt war nichts mehr zu sehen. Nur Thea und er wussten von dem Geheimnis.

Langsam wurde er auch müde. Er konnte kaum noch die Augen offen halten.

"Nun können meine Kinder in den Eiern wachsen, jeden Tag ein Stück, und dein Traum wächst mit ihnen", erklärte Thea. "Wenn sie alle groß genug sind, schlüpfen sie aus. Dann krabbeln sie und der Traum zusammen aus dem Sand und ins Meer."

"Und was machen sie da?", fragte Daniel neugierig.

"Dort lernen sie schwimmen und eine Menge anderer Dinge. Vor allem aber wachsen sie jedes Jahr ein Stück, so wie du", erklärte Thea. "Viele Menschen vertrauen dem Meer ihre Träume an. Aber die meisten davon gehen dort verloren, weil die Menschen sie vergessen und nie wieder abholen. Dann hören sie auf zu wachsen und verschwinden. Aber mit deinem Traum wird das anders sein."

"Warum denn?", wollte Daniel wissen.

"Weil eines meiner Kinder immer bei ihm sein wird. Schildkröten sind klug, auch wenn sie noch klein sind. Sie werden ihm den Weg weisen und ihn beschützen. Und eines Tages, wenn du ganz erwachsen bist und an einem Meer stehst, wird dein Traum dich wieder finden. Dann wird er groß und stark genug sein, um dich tragen zu können. Und bis dahin kann ihm nichts geschehen." Thea schob sich schwerfällig zurück ins Wasser. "Da kannst du ganz sicher sein. Du hast mein Wort, und das Wort einer großen alten Schildkröte wiegt eine Menge. Machs gut, Daniel."

Daniel wartete noch, bis Thea ganz untergetaucht war. Dann rannte er schleunigst los, denn jetzt war es schon sehr dunkel und etwas unheimlich, und er hörte seinen Vater rufen. Das Meer war ganz still geworden. Die Wellen waren beinahe eingeschlafen. Nur ein leuchtendes Glühwürmchen bewegte sich noch am Strand unter der Palme. Tief im Sand schliefen die Eier und Daniels Traum und warteten auf die Sonne, die sie ausbrüten würde.

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Ein wunderschöner Roman von Patricia Koelle

Patrica Koelle: Alles voller Himmel Patrica Koelle
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Eingereicht am
01. Mai 2008

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