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Eingereicht am
28. Februar 2007

Küchenfee

© Evelyn Schütz

Einer der Tage, an denen man am Morgen schon meint, die Arbeit nimmt überhand.

Der Vormittag, ausgefüllt mit Waschen, Bügeln und vor allen Dingen Putzarbeiten. Dabei der ständige Blick auf die Uhr. Das vorgenommene Arbeitspensum drückt. Der selbst auferlegte Zeitplan tickt im Kopf.

Marie führte lautlos Selbstgespräche: "Warum rege ich mich schon wieder auf? In diesem Haushalt gibt es nur eine Köchin, Putz- und Waschtante und das bin ich. Ich kann mir doch alles einteilen. Warum also dieser Selbstdruck? Weshalb lasse ich den Kram nicht einfach liegen? Es gibt noch viele andere Tage, an denen ich diese lästigen Hausarbeiten erledigen könnte. Die Schutzwäsche in der Truhe und die Wollmäuse in den Zimmern laufen bestimmt nicht fort. Manche Tage sind am Morgen schon blöde. Ach, wäre ich nur im Bett geblieben."

Stets waren es die gleichen tristen Gedanken, die Marie überfielen, wenn öder Hausputz anstand. Doch was bedeutete das schon? Vorgenommen war vorgenommen und eine Umverteilung oder Verlagerung auf eine andere Zeit, brachte am Ende auch nicht mehr. Einerseits wollte sie sich selbst beweisen, wie gut sie vorplanen konnte, andererseits hatte sie ihren Göttergatten heute morgen vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, wie viel und was sie alles erledigen musste. Nicht, dass sie Mitleid erheischen wollte. Aber etwas Anerkennung für ihre tägliche Arbeit einheimsen, das schon. Etwas Balsam für die Seele tat sehr gut. Bereits beim Abschiedskuss hatte sie ihm deshalb, mit dem stressgeplagten Antlitz einer liebenden Ehefrau, deutlich gezeigt, die Sache war Ernst. Auf sie wartete ganz, ganz viel Arbeit.

Im lieben Ehemann sollte gar nicht erst der Gedanke aufkommen, seine Nurhausfrau habe wenig zu tun. Außerdem war da noch die kleine Tochter Saskia. Die wollte ebenfalls versorgt sein und das nicht nur nebenbei. Reines "Hausfrauen- und Mutterdasein" bedeutete immerhin einen 24-Stunden-Vollzeit-Job.

Dennoch genoss Marie dieses momentane Haus-Arbeits-Leben. Bei freier Zeiteinteilung, ohne Druck von oben, Arbeitstempo und -pensum selbst bestimmen, war schon eine feine Sache. Keinem mürrischen Vorgesetzten verpflichtet, nur sich selbst und der Familie. Sie liebte ihre kleine Tochter heiß und innig, ebenso wie ihren Winnie - eigentlich Winfried. Der Name hatte allerdings nur Bestand, wenn ganz selten mal eine ernsthafte Aussprache sein musste.

Gutes Essen und köstliche Kuchen herzustellen, waren ihre Leidenschaft. Ebenso, wie handarbeiten oder schneidern. Selbst das Bügeln der großzügig anfallenden Wäsche erledigte sie gerne. Da konnte sie immer so schön ihren Gedanken nachhängen und gleichzeitig einem geliebten Hobby frönen. Gedichte und Lieder schreiben.

Nur beim turnusmäßig anfallenden Hausputz stieg in ihr der Frust hoch. Hier stieß sie regelmäßig an die Grenzen des 'Das-tue-ich-sehr-gerne'.

Hausputz war reines Muss und Pflichterfüllen.

Marie hielt dem Mann im Hause deshalb gerne mal den Staubwedel unter die Nase. Auch um zu zeigen, dass diese ständig notwendigen Reinigungsarien so ihre Tücken hatten, ganz und gar nicht ohne waren und echt schweißtreibend.

Prompt kam denn auch meist, mit einem äußerst bedauerlichen Unterton, ein: "Du armer Schatz, ich würde dir so gerne helfen, aber......" über seine Lippen. Und sie antwortete dann ebenso regelmäßig wie zuckersüß: " Ja, ja ich weiß Liebling, es geht nicht, denn einer muss ja schließlich Geld verdienen!"

Marie rieb sich mit dem nassen Leder über die Nasenspitze. Ein paar Staubflöckchen kitzelten. Sie reckte sich, warf den blonden Zopf in den Nacken und gab ihrem Selbst das Kommando: "Genug im Selbstmitleid zerflossen. Dein Job ist sowieso unbezahlbar. Also, auch wenn nicht ein roter Heller dabei rumkommt, Augen zu und weiter durch den Staub gewirbelt."

Gerade hatte sie sich wieder in eine gute Putzfee verwandelt, die eifrig im Wohnzimmer umherfegte, zeigte sich Töchterchen Saskia im Türrahmen. Kaum auf der Bildfläche erschienen, nervte sie auch schon mit dem wohl bekannten Spruch: "Mama, mir ist sooo langweilig" und der bohrenden Frage: "Wann bist du endlich fertig?"

Die Frage war gut, der gewählte Zeitpunkt allerdings extrem schlecht

Recht mürrisch und ungehalten gab Marie daher der Kleinen den Hinweis, dass schließlich alles dreckig sei und sie deshalb dringend putzen müsste. Die Arbeit liefe nicht von selbst davon und sonst sei ja keiner da, der sie macht. U n d: "Wenn du in dein Zimmer spielen gehst, werde ich ganz bestimmt schneller fertig."

Klar, dass Saskia sich rasch in ihr eigenes, kleines Reich verzog. Sie beherrschte es sonst zwar ganz gut, immer und überall wissbegierig dabei zu sein, eine Frage nach der anderen zu stellen und eigene kindliche Kommentare abzuliefern, einer in Putzwut entbrannten Mutter wollte sie allerdings nicht länger im Wege stehen. Gekränkt und leicht beleidigt dampfte sie ab.

Marie sah aus den Augenwinkeln heraus gerade noch die traurige Mine der Kleinen und dass das Kinn verdächtig wackelte. Bevor sich das Zucken der süßen, kleinen Mundwinkel zu einem Weinen auswuchs, lief sie hinterher. Sie wusste sehr wohl, dass sie zu barsch reagiert hatte. Die Kleine konnte schließlich nichts dafür. Nichts für den recht großen Haushalt, nicht für die Arbeit damit und schon gar nichts für ihren persönlichen Frust darüber.

Entschuldigend drückte sie ihre Tochter an sich und versprach mit einem dicken Kuss: "Die Mama beeilt sich. Heute Nachmittag bin ich ganz für dich da und dann machen wir was Feines zusammen."

Danach ging sie gleich wieder ans Werk. Sie drehte das Radio ein bis zwei Stufen lauter und fegte summend durch die Wohnung. Die Uhr zeigte bereits kurz nach 9.oo. Bis zur Mittagszeit Betten einlegen, Möbel abwischen und Fußböden säubern. Fleißig den Staubsauger kreisen lassen und nebenbei noch schnell die Waschmaschine bestücken. Nasse Wäsche aufhängen und trockene wieder ab. Dabei gleich sortiert in "Bügelwäsche" und solche zum "Zusammenfalten". Die Arbeit ging ihr plötzlich viel leichter von der Hand. Zuversichtlich wirbelte sie herum. So schaffte sie es leicht, bis zum Mittagessen die ganze Wohnung auf Hochglanz zu bringen.

Drei Minuten nach 13.00 Uhr. Der Grossteil der Arbeit war getan.

Selbst der etwas verschwommene Blick hinaus in die Natur war verschwunden. Die große Fensterfront des Wintergartens erstrahlte in so neuem, sauberem Glanz, dass Marie inne hielt und die wiedergewonnene schöne Aussicht ein paar Augenblicke genoss.

Das für heute vorgenommene Arbeitspensum war erledigt und sie mittlerweile auch. Die Komplettreinigung von Küche und Kinderzimmer hatte Marie für den nächsten Tag geplant. Den Eimer mit dem Schmutzwasser wollte sie nachher entsorgen und stellte ihn kurzerhand in die Ecke. Nach dem Essen konnte sie damit den Küchenboden noch feucht durchwischen. Das Wasser war zwar schon schmutzig und verbraucht, sollte aber für die Küche noch reichen. Ansonsten nahm Marie sich vor: 'Für heute ist erst einmal Schluss mit Hausputz'.

Mit erleichtertem Aufatmen legte Marie das letzte Putztuch beiseite und ging in die Küche. Das knappe Frühstück lag fünf Stunden zurück. Dringend musste Essbares nachgeschoben werden. Es grummelte in der leeren Bauchgegend und Hungergefühl machte sich breit. Doch nicht nur in ihr. Auch die kleine Saskia stand plötzlich wieder auf der Matte und lugte vorsichtig um die Ecke. Ihr Magen knurrte bereits seit einiger Zeit gewaltig. Höchste Zeit, um Abhilfe zu schaffen. Hungrig gesellte sie sich zu ihrer Mutter. Eierpfannkuchen war für heute vorgesehen. Mit vielen Apfelscheiben darin und zur Krönung oben drauf ein Zucker-Zimt-Gemisch. Genau wie Marie, war auch Saskia ein kleines Schleckermäulchen und Pfannenkuchen eines ihrer Leibgerichte.

Erwartungsvoll schaute sie daher ihrer Mutter zu, die schnell begann, die vorgesehene kleine Mahlzeit herzurichten.

Nach dem sie beide gegessen hatten, verschwand Saskia wieder in ihrem Zimmer. Freiwillig, denn jetzt war sie in ihrer Mutterrolle gefordert. Die Puppen hatten genau so viel Hunger und wollten versorgt werden, wie der Bär Moritz und das Schaf Ilse. Alle saßen bereits auf ihren Plätzen und warteten auf Nahrung und Futter. Deutlich drang das Brummen und Meckern aus dem Kinderzimmer, nachdem die Kleine ihre tierischen Lieblinge erst einmal beruhigend auf den Arm genommen hatte. Im Puppenhaushalt gab es heute Reisbrei und Apfelmus, was soviel hieß wie Popcorn und gelbe Knetmassefladen. Außerdem noch Kartoffeln aus Marzipan mit Salzstangen, wie Saskia stolz verkündet hatte.

Aus Erfahrung wusste Marie, dass das Füttern der Puppenschar einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Also, warum sich nicht eine kleine Pause gönnen? Der Abwasch lief nicht davon. Auch nicht die Krümel und Flecken auf dem Küchenboden.

Ein Viertelstündchen im Sessel sitzen, mit geschlossenen Augen und hochgelegten Beinen, eine äußerst angenehme Vorstellung, die sie auch sogleich in die Tat umsetzte. Aufatmend ließ sie sich in den großen Fernsehsessel fallen. ,Ach, was tat das gut!'

Marie machte die Augen auf und schüttelte den Kopf. Jetzt hatte sie doch tatsächlich geschlafen. Leicht benommen setzte sie sich gerade und sortierte die müden Füße zurück in die Flip-Flops. Wie viel Zeit vergangen war, konnte sie nicht sagen. Ihr kam es allerdings so vor, als sei eine ganze Ewigkeit vorbeigeflogen. Sie neigte den Kopf und lauschte angestrengt nach draußen.

Aus der Küche drangen eigenartige Geräusche an ihr Ohr. Ein seltsames leises Stöhnen war zu vernehmen und unüberhörbar Wassergeplätscher. Ja, Wasser musste auch mit im Spiel sein. Marie erkannte deutlich das unheilbringende Geräusch von tropfendem Nass und das Klatschen eines nassen Tuches.

Schlagartig hellwach, sprang sie auf und stürzte in die Küche.

Dort angekommen, traf Marie fast der Schlag.

Mit glühenden Wangen und patschnassem Bodenwischtuch stand Saskia zwischen den Schränken und meinte: "Mama, habe gedacht ich muss mal putzen, das ist alles sooo dreckig!"

Mit einem Blick erfasste Marie, dass die Kleine ganze Arbeit geleistet hatte. Sämtliche Türen und Schubladenblenden der Küchenunterschränke ,erstrahlten' in eigenartig geflecktem Glanz. Überdeutlich war zu sehen, dass alle weißen Schleiflackflächen mit braunem schmutzigen Putzwasser ,gereinigt' waren. Die zum Teil bereits eingetrockneten Dreckwassertropfen zeichneten hässliche Bilder auf die glatten Oberflächen. Das liebe Kind hatte nichts, gar nichts ausgelassen.

Hitze stieg in Marie hoch. Sie sah die Küche und hätte heulen können. Sie wollte losschreien, schimpfen, zetern, doch kein Laut kam von ihren Lippen. Sie konnte nicht anders. Beim Anblick ihrer kleinen Tochter musste Marie einfach lächeln. Wie die Süße da stand, ohne Hausschuhe, in einer Wasserpfütze, die bereits auf dem Weg war, das angrenzende Kinderzimmer zu erobern. Mit hochrotem Kopf, das blonde kurze Haar feucht und wild abstehend, rundum ziemlich durchnässt und sichtlich abgekämpft. Unübersehbar: ,Putzarbeiten sind nun mal kein Zuckerschlecken'.

Böse sein, konnte und wollte sie nicht. Mit ihren gerade mal vier Jahren wild entschlossen der Mutter zu helfen, hatte Saskia es nur allzu gut gemeint und war dabei an ihre kindlichen Grenzen gestoßen.

Der anfängliche Groll und die aufsteigende Hektik im Angesicht der dargebotenen Riesenüberraschung lösten sich im Nichts auf und machten einer stoischen Ruhe Platz. Eine Art, die Marie zu eigen hatte. In Situationen, wo andere sich mächtig aufregen konnten und gefühlsmäßig hochschaukelten, legte sie innerlich einen Schalter um. So blieb sie ruhig und gelassen. Warum auch sollte sie ihre Nerven strapazieren bei Dingen, die unabänderlich geschehen waren. Hier galt es lediglich, das Beste daraus zu machen.

In der momentanen Situation hieß dies, dass Marie zunächst ein trockenes Bodenwischtuch auf die sich ausbreitende Wasserpfütze warf und so ein noch größeres Dilemma verhinderte. Anschließend bedankte sie sich bei der Kleinen mit einem dicken Schmatzer auf die Nasenspitze und bot sich an zu helfen. Saskia strahlte bis weit hinter die nassen Ohren und war froh, die restliche Arbeit gemeinsam mit der Mutter erledigen zu können.

Für Marie bedeutete dies natürlich: ,Nicht Schluss mit Hausarbeit. Im Gegenteil. Die komplette Küche musste nochmals abgewaschen werden. Es hieß, die ganze Arbeit der Kleinen zu wiederholen. Dieses Mal natürlich mit frischem Wasser, dem sie einen Tropfen Essigreiniger "Zitrone" zugab und einem sauberen Tuch. Während Marie sich bei dieser Gelegenheit gleichzeitig auch die Oberschränke vornahm und diese ebenfalls gründlich abwusch, durfte Saskia im unteren Bereich alle Türen mit einem trockenen Baumwolltuch nachreiben.

Die beiden Frauen hatten alle Hände voll zu tun. Doch sie waren mit Spaß dabei und freuten sich am Ende über das gelungene Werk. Vom Nachmittag war nicht mehr viel übrig, als Mutter und Tochter die Putztücher beiseite legten und sich in der Küche umsahen. Die kompletten Schränke auf Hochglanz. Sämtliche Teile, Türen, Schubladen, Ablagen erstrahlten in reinstem Weiß und zauberten einen zufriedenen ,Was-sind-wir-zwei-gut-Gesichtsausdruck' in die Minen von Saskia und Marie.

Klar, dass jetzt eine dicke Belohnung fällig war.

Höchste Zeit für eine süße Leckerei.

Marie holte für beide ein großes Stück Schokoladenkuchen hervor, zauberte Saskia eine Riesentasse Kakao auf den Tisch und machte für sich einen supersahnigen Cappuccino.

Das hatten sie sich echt verdient! Praktisch die ganze, für den nächsten Tag vorgesehenen Arbeit, war bereits heute erledigt.

Jetzt ließen sie sich erst einmal müde und abgespannt im Wintergarten auf die bequemen Sessel fallen. Für heute war endgültig Pause!

Weder Marie noch Saskia verspürten weiteren Bewegungsdrang.

So wurden Spaß und Unternehmungslust bereitwillig auf den nächsten Tag verschoben.

Einige Zeit später, nachdem die ärgsten Ermüdungserscheinungen verschwunden, waren setzten sie sich zusammen ins Wohnzimmer, schalteten das Fernsehgerät an und planten für den nächsten Tag schon mal den einen schönen Ausflug.

Sie entschieden sich für einen Besuch im nahen Vogelpark. Genau die richtige Unternehmung, um die heute gewonnene zusätzliche Freizeit sinnvoll zu nutzen.

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