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Viermal Mona

© Miriam Müller


Mona ist auf einer Blumenwiese zuhause. Auf so einer, wo niemand etwas angepflanzt hat und darum um so mehr wächst. Auf Monas Blumenwiese ist es im Sommer besonders schön. Dann blüht alles wild durcheinander und es duftet, brummt und knistert von dem ganzen Leben, das in ihr steckt.
Jetzt ist jedoch Winter und Monas Blumenwiese ist von Schnee bedeckt. Unter dem Schnee, ganz unten auf der Erde und fast vergessen, liegen winzig kleine Samenkörner und warten geduldig. Eines der Samenkörner liegt schon so lange kugelrund, schwarz und reglos hier, dass es ganz vergessen hat, worauf es eigentlich wartet. Aber als die Tage länger werden, die Sonne wärmer scheint und der Schnee schmilzt, spürt es, dass es losgeht. Erst wird es nur ein bisschen dicker. Dann noch ein bisschen, und noch ein bisschen und auf einmal - plupp - platzt es auf. Ein zierliches Pflänzchen lukt vorsichtig hervor. Von der Frühjahrssonne gelockt wächst es rasch und ein paar Wochen später hat sich aus dem kleinen Samenkorn eine stattliche Pflanze entwickelt. Inzwischen sind Luft und Boden schon angenehm warm und die Wiese füllt sich mit Blumen verschiedenster Farben und Formen, von denen einige bereits wunderschön blühen. Auch an unserer Pflanze bildet sich eine Knospe, die sich bald öffnet und vier Blütenblätter hervorbringt, zart und leuchtend wie rotes Seidenpapier. Es ist Mona, die da ihren Platz auf der Blumenwiese einnimmt. Sie erzittert vom vorüberstreichenden Wind, um kurz darauf von ihm zum ersten Tanz gebeten zu werden. Wild geht es hin und her.
Mona ist nicht erfreut über den stürmischen Auftakt ihres Lebens. "Der zerzaust mir ja die schönen Blütenblätter! Was soll denn das? Pass doch auf, du!" Nachdem sich der Wind gelegt und Mona sich wieder geordnet hat, schaut sie sich zunächst einmal gründlich um, erst nach rechts, dann nach links, nach vorne, hinten, oben und unten. Doch da muss sie schon das eine Blütenblatt missbilligend kräuseln. "Das Leben könnte so schön sein", seufzt sie, "wenn nur nicht dieser aufdringliche kleine Trieb da unten wäre." Ärgerlich schielt Mona noch einmal nach unten. Tatsächlich, da kämpft sich ein zweiter Stängel aus ihrer Pflanze hervor. Völlig fassungslos über die Unverschämtheit, so nah an ihr zu sprießen, schaut Mona zu, wie der Kleine sich abrackert. "Oh, diese Ungerechtigkeit, mir so mein schönes Leben zu ruinieren. Dieser kleine nichtsnutzige Knirps, ich hasse ihn, am liebsten würde ich..." - Uups! Mona erschrickt über sich selbst. Rohe Gewalt auf der Blumenwiese?! Nein, dazu würde sie sich nicht hinreißen lassen. Aber der Kleine würde schon sehen, was er davon hatte. "Wenn der so nah bei mir wächst, kriegt er doch bestimmt gar nicht genug Licht ab. Ja genau, das kann nicht gut gehen." Mona ist wieder guter Dinge und stellt sich erst einmal bei den Nachbarblumen vor, wobei sie nicht zu erwähnen vergisst, dass der neue Spross bestimmt sowieso zu wenig Licht zum Aufblühen bekomme und wie dumm es doch sei, gerade da wachsen zu wollen. Am Abend der ersten Tages schläft Mona zufrieden ein. Doch als sie am nächsten Morgen nach unten guckt, hängt da bereits eine dicke grüne Knospe ganz in der Nähe ihres Stängels. "Der kleine Knirps will sich doch tatsächlich mit mir anlegen. Und mit welcher Frechheit der auch noch grüßt und mir zuzwinkert." Mona tut so, als hätte sie es gar nicht bemerkt und breitet ohne ein Wort ihre großen roten Blätter in Richtung Sonne aus. Die kleine Knospe wächst natürlich weiter und gegen Abend ist sie schon fast auf gleicher Höhe und im Begriff sich zu öffnen. Mona kocht vor Wut. "Es wird Zeit, etwas zu unternehmen", denkt sie und gleich nach Sonnenuntergang, als die neue Blüte eingeschlafen ist, sammelt Mona alle Kräfte und konzentriert sich auf ihr Ziel. Dann saugt sie so viel Wasser und so viele Nährstoffe zu sich herauf, wie sie nur kriegen kann. Sie schießt mit ihrem Stängel ein ordentliches Stück nach oben, und das Blütenblatt, das auf der Seite der neuen Blüte ist, dehnt sie mit aller Kraft, bis es so groß und breit ist, dass die neue Knospe kein Licht mehr abbekommt. Das dauert die ganze Nacht und Mona ist danach völlig erschöpft. Aber zufrieden und stolz stellt sie gegen Mittag mit einem Blick nach unten fest, dass der neuen Knospe der Nahrungs- und Lichtmangel gar nicht gut bekommt. Sie hängt kümmerlich an ihrem Stiel und ans Aufblühen ist wohl erst mal nicht mehr zu denken. "Ha, da kann er mal sehen, wie es denen ergeht, die sich mit mir anlegen", denkt Mona und will sich gerade selbstgefällig auf ihrem inzwischen sehr dünnem Stiel ein bisschen hin und her wiegen, als ihr riesiges Blütenblatt sie aus dem Gleichgewicht bringt und sie zu Boden reißt. "Hilfe, Hilfe!", schreit Mona. Doch es nützt nichts. Und so sehr sie auch versucht, wieder nach oben zu gelangen, es ist nichts mehr zu machen. Mona muss unten am dunklen Boden verdorren.
Nur ein paar Wochen später entfaltet Mona sich wieder aus einer Knospe zur prächtigen roten Blüte. Sie findet sogar, dass sie eine der schönsten Blüten der ganzen Wiese ist. "Ach, ist es herrlich, so schön und voller Saft und Kraft zu sein. Im Wind zu schwingen, von der Sonne gewärmt und von Spaziergängern bewundert zu werden", denkt Mona und räkelt sich. "Sie bewundern mich wirklich zu Recht. So zart und rot sind meine Blätter, wie Seidenpapier so dünn." Ein schönes Leben ist es für Mona, die ständig ihre Blätter mit denen der anderen vergleicht, wobei sie immer wieder feststellt, dass ihre die weichesten und schönsten vom tiefsten Rot sind. Und nicht nur das: die anderen Mohnblüten, die schon länger da sind, verlieren ihre Blütenblätter und bekommen hässliche dicke grüne Bäuche. Mona schaut voller Verachtung auf diese Blüten. "Die haben sich ja nicht richtig gepflegt und waren eben auch nicht schön genug. Da ist es nur richtig, dass sie jetzt so aufgebläht und kahl da herumstehen müssen. Dass die sich nicht schämen! Mir würde so etwas garantiert nie passieren!" Doch nachdem sie drei Tage geblüht hat, bemerkt Mona, dass auch ihre wunderschönen Blätter auf einmal nicht mehr so fest sitzen und sich auch ihr Bauch dick und hässlich wölben will. "Das darf nicht sein", denkt sie. "Ich kann doch nicht meine Blätter verlieren, und hier mit einem riesigen grünen Bauch stehen, der oben auch noch so hässliche schwarze Narben hat. Oje, oje, was mache ich jetzt nur? Wie soll ich ohne meine schönen Blätter leben? Wer bin ich dann noch?" Voller Panik klammert sie sich an ihre Blütenblätter. "Nein", beschließt sie, "so leicht lasse ich mir meine Schönheit nicht wegnehmen. Es steht fest: die Blütenblätter bleiben und einen dicken Bauch bekomme ich auch nie im Leben. Schluss, Aus."
So hat es Mona beschlossen und sie ist nicht bereit, auch nur ein einziges Blütenblatt aufzugeben. Sie wendet alle Kraft auf, kämpft mit dem Wind und flucht auf den Regen. Sie kommt nicht zur Ruhe. Auch nachts muss sie ständig kontrollieren, ob die Blätter noch da sind. In einem fort hält Mona die Luft an und zieht den Bauch ein, so gut sie kann. Es schmerzt und sie kann dem Druck, der innen immer stärker wird, kaum standhalten, aber irgendwie schafft sie es. Tatsächlich hat sie noch ihre Blütenblätter und einen ziemlich dünnen Bauch als ihre Samen bereits längst vom Wind in die Luft getragen werden sollten. Mona ist gründlich über die Zeit, und auch die anderen Mohnblüten fragen sich langsam, was sie da eigentlich treibt. Sie hält an ihren verfaulten Blättern fest und erzählt immer noch, dass sie die schönsten der ganzen Wiese seien. Jeden Tag fragt sie die anderen, ob sie nicht einen superschlanken Bauch habe. Doch auf einmal zeigen sich dunkle Flecken auf Monas Körper. "Oh nein. Was ist das denn? Das ist ja - eklig! Igitt, es werden immer mehr Flecken. Mir wird schlecht", jammert Mona. Bald darauf ist es vorbei mit Mona, denn sie schimmelt und verfault von innen.
Aber es gibt reichlich Samen auf der Wiese und natürlich ist Mona bald wieder da. Vergnügt hockt sie auf ihrem Stiel und beguckt sich die anderen Blumen der Wiese. Doch wem sie auch zuguckt, nach einiger Zeit hat sie an jedem etwas auszusetzen. "Was macht der denn da? Das darf doch nicht wahr sein! Warum sagt ihm denn keiner, wie es richtig geht?" Erstaunt und entsetzt stellt Mona fest, dass es die anderen gar nicht zu interessieren scheint, welche haarsträubenden Dinge sich auf der Blumenwiese tun. "Also, wenn sich da sonst keiner drum kümmert, dann muss ich denen mal sagen, was sie falsch machen." Mona reckt sich zu einer Blüte nach der anderen und gibt jeder gute Ratschläge. Der Ersten sagt sie: "Mach doch die Blüte weiter auf, so wie ich, sonst haben die Bienen doch gar nicht genug Platz." "Warum drehst du dich denn nicht richtig zur Sonne?", fragt sie eine andere und fügt hinzu: "Du musst doch frieren." Mona gönnt sich keine Pause. Rastlos biegt sie sich zu allen Blumen, die sie erreichen kann und sagt ihnen, was sie ihrer Meinung nach besser machen sollten. Oft legt sie direkt Hand an, wie bei der Glockenblume: "Ich wisch dir schnell die Staubkörner hier ab. Wie siehst du denn damit aus? So, gleich viel besser." Aber die anderen Blumen hören nicht auf ihre Ratschläge und weichen sogar vor ihr zurück. Mona ist enttäuscht. "Sie werden meine Hilfe schon noch zu schätzen wissen, wenn Sie erst einmal einsehen, dass ich Recht habe und es nur gut mit ihnen meine." Mona verdoppelt ihre Anstrengungen. Von morgens bis abends kämpft sie um die Aufmerksamkeit der anderen Blumen. Doch keine einzige befolgt ihre Ratschläge. "Wenn Sie nur einmal darüber nachdenken würden, müssten Sie einsehen, dass sie völlig falsch leben." Mona ist so beschäftigt, dass Sie noch nicht einmal merkt, wie ihre Blütenblätter abfallen und sie den dicken grünen Bauch bekommt. Und als sie bereits zur schweren Samenkapsel gereift ist, versucht sie noch immer unermüdlich, die anderen zu erreichen. Als sie sich wieder einmal zu einer entfernten Blüte herüberbiegt um sie zu belehren, weicht diese schnell zurück. Mona will noch rasch hinterher, da - knacks - bricht auf einmal der Stängel ab und Mona schlägt hart auf der Erde auf. Alle ihre Samen verdorren halbfertig in der Kapsel.
Wie erwartet hat Mona bald wieder ein nettes Plätzchen auf der Blumenwiese ergattert. Diesmal hatte Monas Knospe einen kleinen Riss, daher ist eines ihrer Blütenblätter eingeschnitten. Die anderen Blüten raten Mona, dieses Blütenblatt so gut es geht durch die anderen zu verdecken, es sei so hässlich. Doch Mona lässt das Blatt so sein wie es eben ist, und bald empfinden es auch die anderen nicht mehr als Makel, sondern als Monas Eigenart. Wenn sie ständig den Knick verdeckte, könnte sie auch gar nicht in Ruhe ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen: Mona tanzt leidenschaftlich mit dem Wind, weint bittere Tränen im Regen und strahlt mit der Sonne um die Wette.
Eine zweite Blüte sprießt aus Monas Stängel, und Mona freut sich schon sehr auf die Gesellschaft. Als sie aufgeblüht ist, begrüßt Mona sie mit einem freundlichen "Hallo." Die neue Blüte möchte antworten, aber es kommt kein Ton heraus. Erst nach einigem Husten und Räuspern kann auch der Neuankömmling antworten. Er sagt "Hallo.", und muss sich im nächsten Moment schon wieder räuspern. So geht es nun fortan: "Ähem" und "Höö-häm" - tagaus, tagein. Mal laut, mal leise. Erst sind alle Blüten sehr besorgt und versuchen dem Neuen zu helfen. Doch als alles nichts nützt, wenden Sie sich ab und halten sich die Ohren zu. Nur Mona unterhält sich mit ihm und hört ihm zu, obwohl er sich räuspert und hüstelt und dann wieder räuspert. "Lass den doch!", sagt die Glockenblume. "Ich lass' ihn ja", antwortet Mona und unterhält sich weiter mit ihm.
Mona genießt ihre Blütezeit und erzittert vor Freude, als sie sich zur Samenkapsel verändert. Mit Liebe wölbt sie ihren dicken Bauch und lässt mit einem leisen Lachen die Samen darin rasseln. Und schließlich entweichen aus den sich öffnenden Narben hunderte kleiner schwarzer runder Samenkörner. Mona schaut Ihnen zu, wie sie vom Wind davongetragen werden und wünscht jedem einzelnen mit schwächer werdender Stimme "alles Gute". Als alle verschwunden sind, summt Mona ihr letztes Lied und verstummt.



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