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Georgs Theater-Abend

© Christos Piperidis


Mein Platz war in der ersten Reihe und genau in der Mitte. In anderthalb Metern Abstand war die Bühne und vor mir, unterhalb der Bühne, war der Souffleur. Später sollte ich hören, wie er den Schauspielern ihre Texte vorlas.
Der Saal war ausverkauft, schon seit Monaten. Ich habe meine Eintrittskarte als Geschenk zu meinem 20jährigen Beamtenjubiläum bekommen, von der Leitung des Amtes. "Herr Georg", sagte mein Abteilungsleiter, "als Dankeschön für Ihre treue Arbeit in all den Jahren erhalten Sie von Ihren Kollegen diese drei Flaschen Ihrer bevorzugten Säfte und von der Leitung des Finanzamtes erhalten Sie eine Eintrittskarte zu einem Theaterabend." Ich habe mich sehr gefreut, und da ich damit gerechnet hatte Geschenke zu bekommen, hatte auch ich etwas organisiert für diese Feier. Nun, da ich meine Geschenke in den Händen hielt, konnte ich auch meinen Arbeitsplatz wieder aufdecken. Ohne Rücksicht auf Kosten hatte ich einen Korb mit elf Brezeln, einen weiteren mit zwei Packungen Salzstangen und einen dritten mit acht Hanutas vorbereitet. Dazu zwei Karaffen Kirschsaft, eine Flasche Tomatensaft mit sechs Gläsern und zwei Flaschen Wasser mit 6 Plastikbechern. Anschließend hielt ich eine Dankesrede und im Namen aller Kollegen hat die Katja (eine Kollegin aus der dritten Etage) ebenfalls eine Rede gehalten und zum Schluss sagte sie: "Georg, du bist vergleichbar mit einem großen Karton: vorne und hinten nichts und in der Mitte leer, aber zu jeder Zeit brauchbar und unverzichtbar." Sie lachten alle und auch ich lachte mit, ohne wirklich verstanden zu haben, was genau sie damit gemeint hatte.
Da saß ich nun auf meinem Platz Nr. 12 in der ersten Reihe und schaute mich im leeren Saal um. Ich bin nämlich 45 Minuten früher gekommen, da ich irgendwo gehört hatte, dass man im Theater lieber früher dran sein sollte, wegen den Plätzen. Vermutlich war deswegen noch niemand hier, nur ein Mann lief dauernd hin und her und kontrollierte, ob die Sitze in Ordnung waren. Ich schaute zur Bühne und bestaunte den roten Samtvorhang, der noch geschlossen war. Dann entdeckte ich, dass an den Armlehnen der Sitze Getränkehalter angebracht waren. Ich holte aus meiner Jackentasche die Papiertüte mit den Pistazien heraus, machte es mir gemütlich und begann zu essen.
Allmählich kamen weitere Besucher. Ich drehte mich um und beobachtete, wie manche Menschen nach links gingen, manche blieben gleich hinten und andere kamen direkt nach vorn. Die Reihe in der ich saß, füllte sich langsam. Auf den Platz rechts von mir setzte sich ein Mann, etwa 60 Jahre alt mit einem dicken Bauch und einem großen, roten Kopf. Er war groß und als er sich setzte nahmen seine Hände die ganze Breite der Armlehnen in Anspruch.
"Gut sitzen wir hier ganz vorne, nicht wahr?" sagte er zu mir und stöhnte ganz tief, wodurch mir leider nicht verborgen blieb, dass er Knoblauch gegessen hatte.
Mittlerweile waren die Plätze links von mir von einer jungen Frau, etwa 28 Jahre alt, und ihrem Begleiter, etwa 29 Jahre alt, besetzt.
"Guten Tag" sagte sie.
"Guten Abend" antwortete ich und sie lachte laut los.
"Schöner Witz, aber Sie haben Recht: es ist ja schon Abend, nicht wahr Georg?" dabei schaute sie ihren Begleiter an.
"Woher kennen Sie meinen Namen?" fragte ich.
"Oh, noch ein Witz" sagte sie und lachte wieder "Sie heißen auch Georg, wie mein Freund?"
"Warum lachen Sie?" fragte der Dicke rechts von mir. "Das Stück hat doch noch gar nicht angefangen."
"Das Stück ist keine Komödie mein Herr" sagte das Fräulein hinter meinen Schultern zu dem Dicken.
"Welches Stück?" fragte ich.
"Na das, das heute Abend gespielt wird" sagte Georg, der Freund des Fräuleins.
"Nein, nein" sagte der Dicke "Es ist eine Komödie, nicht wahr Agathe". Er sprach mit seiner Frau, die neben ihm saß. Dann drehte er sich wieder uns zu. "Sie hat auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin eine Karte für eine Komödie gekauft. Was glauben Sie, was wir heute Abend sehen werden?" fragte mich der Dicke.
"Hm, einen roten Vorhang"
"Geben Sie jetzt mal Ruhe" sagte Georg, der Freund des Fräuleins.
In diesem Moment gingen die Lichter aus, der Vorhang öffnete sich und das Schauspiel begann. Ich sah auf die Bühne, links lag ein Mensch am Boden, sein Kopf in einer Blutlache. Eine Frau kam herein und weinte: "Oh, wie soll ich das nur aushalten, oh, oh, oh" Die Frau war jung, sie trug eine weiße Hose und eine gelbe Bluse. Sie war hübsch und sie wusste auch, dass sie hübsch war. Nun betrat ein Mann die Bühne, drehte sich dem Publikum zu und kniete sich neben den Mann am Boden. In diesem Moment sah ich, dass der Reißverschluss seiner Hose offen war. Als er wieder aufstand sagte er "Ich öffne Dir jetzt mein Herz", doch war das genau der Moment, in dem ich ihn auf sein Problem hinweisen wollte und sagte: "Deine Hose ist offen".
Für einen Moment war es sehr still. Doch plötzlich fingen manche Leute zu lachen an, erst leise, dann etwas lauter und noch lauter und ich hörte "Prima Pointe, haha", oder "Die Idee mit der Hose ist klasse". Inzwischen war der rote Vorhang wieder gefallen. Ich versuchte zu begreifen, was geschehen war und hörte wie der Dicke ganz laut lachte und zum Fräulein neben mir sagte "Ich hab's gesagt: Es ist eine Komödie!"
Ein Gong ertönte, es wurde wieder ruhig und ein Mann kam auf die Bühne, stellte sich vor den Vorhang und sprach: "Aus technischen Gründen mussten wir unser Spiel kurz unterbrechen. Doch nun sind wir wieder bereit für unsere Krimitragödie, einem Verwirrspiel um Gefühle mit überraschendem Ausgang". Dann schaute er mich sehr lange an und sagte mit drohender Stimme: "Ein Kriminalstück - spannende Unterhaltung!"
Die Lichter gingen aus, der Vorhang öffnete sich, das Fräulein neben mir schaute zu dem Dicken, lachte und sagte ganz leise: "Komödie, dass ich nicht lache!". Der Dicke bekam einen noch roteren Kopf und sagte einige energische Worte zu seiner Frau. Und das Stück begann von neuem:
Der Mann lag links am Boden, sein Kopf in einer Lache Blut. Eine Frau kam herein, sagte weinend: "Oh, wie soll ich das nur aushalten, oh, oh, oh, oh". Sie war jung, sie trug eine weiße Hose und eine gelbe Bluse. Sie war hübsch und sie wusste auch, dass sie hübsch war, denn diesmal schenkte sie uns ein zusätzliches Oh - als Zugabe sozusagen. Ich war hingerissen und begeistert von ihrem Talent. Anscheinend konnte man mir das ansehen, denn das Fräulein neben mir sagte "Na, na!" und gab mir einen Schubs mit dem Ellbogen.
Da ich zum ersten Mal im Theater war, waren mir die Gepflogenheiten nicht vertraut. Doch nun hatte ich gelernt und gab dem Dicken einen Schubs mit meinem Ellbogen und sagte "Na, na!" Er schaute mich zuerst ganz erstaunt an und sagte dann zu seiner Frau: "Der Kerl spinnt".
Ich konzentrierte mich wieder auf das Stück. Als die Frau ihren Text gesprochen hatte, kam wieder der Mann herein und kniete sich für einen Moment neben den Toten. Dann stand er wieder auf, wandte sich uns zu und sprach: "Ich öffne dir jetzt meine Hose". Der Vorhang fiel, es wurde sehr still und dann brachen alle in schallendes Gelächter aus. Ein Gong ertönte und eine Stimme sagte: "15 Minuten Pause".
Die meisten von uns standen auf und gingen nach draußen. "Kommen Sie mit uns was trinken" fragte mich das Fräulein. Also stand ich auf und ging mit den beiden. Doch zuvor legte ich noch ein kariertes Taschentuch auf meinen Platz. Ich hatte in einem Roman gelesen, dass vornehme Leute im vergangenen Jahrhundert bei Theaterbesuchen in Paris oder Ulm Taschentücher mit Familienwappen als Sitzreservierung benutzten. Da ich kein Familienwappen besaß, hatte ich extra dieses karierte Taschentuch mitgebracht.
An der Bar gab es leider keinen Tomatensaft, daher orderte ich einen Cocktail aus Limonensoda und Sprudel. "Das ist richtig exotisch" sagte mir der Barmann, als ich das bestellt hatte. Beim Weggehen lachte er und sagte nur: "Eieieieiei". Georg stand neben mir am Tresen. Er trank Sekt und seine Freundin einen kleinen Espresso. "Also", fing sie an, "Ich heiße Vera und wir freuen uns, dass wir Sie kennen gelernt haben."
"Ja, ja", antwortete ich, "Das ist ein Zufall, dass ausgerechnet Sie neben mir sitzen und nicht ich neben Ihnen und ähm…" Ich bemerkte, wie ich plötzlich keinen normalen Gedanken mehr fassen oder gar sprechen konnte. Ich wechselte das Thema: "Das Stück ist aber ziemlich kompliziert!"
"Hahaha", lachten die beiden ganz laut. "Das nenne ich eine Verarschung", ergänzte Georg, "welches Stück denn?"
"Diese Komödie ist der Hammer!" sagte der Dicke, der inzwischen auch mit seiner Frau an den Tresen gekommen war.
"Ich behaupte nach wie vor, dass das ein Krimi ist" antwortete Vera.
"Und die Schauspieler sind zwei Tollpatsche" fiel nun auch Agatha, die Frau des Dicken, in unsere Unterhaltung ein.
Der Klang des Gongs erinnerte uns daran, dass das Theaterstück eine Fortsetzung hatte. Also nahmen wir alle wieder Platz, die Lichter gingen aus, ein Mann trat vor den roten Vorhang und erklärte: "Wegen technischen Schwierigkeiten mit der Akustik gab es eine kleine Verzögerung, doch nun kann das Stück noch einmal von vorn beginnen". Während er sprach schaute er mich sehr streng an und endete mit den Worten: "Das ist eine Kriminaltragödie", dann ging er und der Vorhang öffnete sich.
Auf der Bühne links lag ein Mensch auf dem Boden, sein Kopf in einer Lache Blut. Eine Frau kam herein, weinend. Sie blieb an einer Ecke stehen und weinte weiter. Sie war hübsch und sie wusste auch, dass sie hübsch war. Dann kam ein Mann herein und sie fragte ihn: "Ist Deine Hose immer noch offen?"



Eingereicht am 22. Mai 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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