Haarige Geschichten
Kurzgeschichte - Haar, Haare, Frisur, Friseur, Haarfarben, blond, Blondine, Rothaarige, Glatze, Haarausfall, Bart, Rasur, Zöpfe, Locken, Dauerwellen ...
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Hinter den Kulissen

© Sarah Ducellari

Es gab Menschen die waren einfach perfekt. Oder so nah daran perfekt zu sein, wie es eben möglich war.

Joanna Bournant war groß, schlank mit weiblichen Kurven, hatte große dunkelbraune Augen, eine kleine Stupsnase und einen vollen, roten, weichen Mund.

Ja, es gab Menschen, die so Nahe an der Perfektion waren wie es eben möglich war.

Joanna Bournant gehörte nicht dazu.

Sie war nicht nur ein Prozent von der Perfektion entfernt. Sondern 3 oder 4 - wenn nicht sogar 5 - und das machte sie wahnsinnig. Da half alles Schneiden, Färben, Hochstecken, Zubinden, Flechten und Knoten nichts.

Sie hatte weinrote Haare und Sommersprossen. Dagegen half nichts. Gar nichts. Als wäre sie verflucht worden, und alles was ihr Haar berührte müsste sich in Luft auflösen - nun ja, so ausgeartet war das Ganze dann doch nicht, aber doch schon ziemlich heftig.

Ihre Kolleginnen waren entweder hellblond, so dass deren Haar dann wie Gold in der Sonne glitzerte, oder hatten kohlrabenschwarze Haare. Sie beneidete diese Frauen. Sehr sogar.

"Bist du, als du klein warst, wie Obelix in den Topf gefallen?", fragte John ihr eigener Friseur. Sie verstand nicht ganz.

"Sehe ich so aus, als wäre ich übermenschlich stark?", fragte sie verwirrt.

Sie saß mit dem Rücken zu ihm, und sah ihr Gesicht ständig im Spiegel, während er eine Haarsträhne hochhielt und fallen ließ, als wüsste er nicht ganz ob er sie abschneiden oder dalassen sollte.

Er stieß ein Kichern vor, und winkte wie eine Diva ab.

"Aber nein, meine Süße. Ich beneide dich um deine zarten Knöchelchen. - Aber deine Haarfarbe. Deine Haarfarbe", sagte er beinahe weinerlich und jegliches Kichern war aus seiner Kehle gewichen. So schlimm waren ihre Haare auch wieder nicht.

"Nein leider, denn sonst bestünde vielleicht eine Möglichkeit, dass sie sich irgendwie färben ließen", seufzte sie. Sie hatte wirklich schon alles Menschenmögliche versucht.

"Aber ich denke dass wir doch noch was aus dir und deinen" - er hielt wieder eine Strähne hoch, und sie lachte als sie sah wie er das Gesicht verzog - "Haaren bei denen ich jedes Mal fasst glauben muss, dass sie gleich davonlaufen, machen können." Sie musste heute den "Best dressed Woman"-Award übergeben und dabei musste sie selber, wie die "best-dressed-woman" aussehen.

Wann hatte denn ein unbedeutendes Model schon die Möglichkeit, einen Preis zu verleihen? Und wann wurde diese Preisverleihung schon in alle Staaten der Erde ausgestrahlt. Das würde ihr sicher den Weg zu einer Schauspieler-Karriere ebnen. Das hoffte sie jedenfalls. John riss sie aus ihren träumerischen Gedanken indem er kurz sanft an einer Haarsträhne zog, und sie zu frisieren begann.

Zuerst unterhielten sie sich über Dieses und Jenes, wer welches Kleid wann und wie oft getragen hatte, doch Joanna war so müde, sie hatte gerade 5 Fotoshootings hinter sich, und schlief ein während John ihr die Haare machte. Der Mann hatte einfach göttliche Hände, wenn es darum ging sie zu frisieren - wäre er nicht schwul gewesen sie hätte ihn geheiratet. Aber in diesem Satz waren dann doch zu viele "wenn's" und sie schlummerte friedlich in seinen kundigen Händen.

"Aufwachen Dornröschen, dein Prinz ist da", säuselte da John fröhlich neben ihr. Auf einmal war sie hellwach.

"Prinz? WO?!", und rieb sich dabei den Schlaf aus den Augen. Wie lange hatte sie denn eigentlich geschlafen? Hoffentlich nicht zu lange, denn sie hatte heute noch sehr viel vor, und konnte es sich einfach nicht leisten zu viel Zeit zu verlieren.

"Nein, nein Schätzchen, nur du hast geschlafen wie eine Tote und das war die einzige Möglichkeit, die mir in den Sinn kam, dich aufzuwecken und es hat ja geklappt, also beschwer' dich nicht Süße", erwiderte er etwas schnippisch, aber nicht verstimmt.

"Das ist nicht komisch! Aber lass' uns doch einmal sehen was du so mit meinen Haaren angestellt hast, während ich von meinem Prinzen träumte." Sie blickte in den Spiegel und konnte ihren Augen nicht trauen.

"Du ... du -" mehr bekam sie nicht heraus. Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare nur um wirklich zu wissen, dass es ihre waren. Sie konnte es einfach nicht glauben!

"Ja ich weiß ich bin genial", sagte John mit stolzgeschwellter Brust. Er hatte wirklich das Unmögliche hinbekommen.

"Meine Haare sind …", aber er winkte schon ab.

"Ja ich weiß was deine Haare sind. Du musstest doch perfekt aussehen und auf deine Sommersprossen geben wir einfach Puder dann passt das schon; dann wirst du dort die Schönste sein - Und vergiss ja nicht zu sagen, wer dieses 8. Weltwunder vollbracht hat. Dein Haar sah seinen Meister - und verlor", fügte er noch dramatisch hinzu. Sie konnte ihm ansehen dass er sehr stolz auf seine Leistung war. Sie wäre es auch gewesen.

"Wie hast du das bloß geschafft?", hauchte sie, fast schon ehrfurchtsvoll.

John zuckte lässig mit den Schultern. "Wenn ich dir das sage müsste ich dich umbringen."

Sie lachte herzhaft doch als sie auf die Uhr sah, sprang sie auf, packte all ihre Sachen zusammen und stürmte mit den Worten "Wir sehen uns heute Abend bei der Verleihung" hinaus. Er sah ihr lächelnd - und gleichzeitig kopfschüttelnd hinterher. Sie war eine wandelnde Katastrophe.

Sobald sie die Umkleide betrat richteten sich alle Blicke auf sie, und das nicht nur weil sie zu spät war - Unpünktlichkeit war so wie Atmen für sie; man hatte sich längst abgewöhnt sie deswegen zu schelten oder ihr böse zu sein deswegen. Aber ihre Haare die taten nun einmal ihren Effekt - wobei sie stark hoffte, dass es ein guter wäre. Eine Katastrophe wäre es erst wenn jemand sagte, sie hätten vorher besser ausgesehen; dann würde sie schreien und kreischen, und ganz sicher irgendjemandem wehtun. Aber niemand rührte sich. Alle starrten sie nur mit heruntergefallener Kinnlade an und blinzelten, als würden ihnen ihre eigenen Augen einen Streich spielen - einen sehr makabren Kinderstreich.

"Du siehst so anders aus, Joanna", brachte Mairi eine ihrer engsten Freundinnen als Erste hinaus. Joanna nickte überglücklich und drehte sich im Kreis.

"Ja ich weiß. Ist das nicht toll? Wie sehe ich aus?", fragte sie lachend und durch die Gaderobe tanzend.

Mairi sah sich von einen Fuß auf den Anderen tretend um. Irgendetwas stimmte hier nicht. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Aber was?

"Ja es sieht wirklich toll aus. Ehrlich uns gefällt allen deine neue Haarfarbe - aber - dabei sah sie zu Boden - nun ja um es freundlich zu formulieren: Jake wird dich in Stücke reißen." Alle gingen wieder ihren Beschäftigungen nach und Joanna ging zu Mairi um herauszufinden, wer dieser Jake überhaupt war und warum er sie zu Hackfleisch verarbeiten sollte, weil sie sich die Haare gefärbt hatte, wenn es doch toll aussah? Sie und ihre Freundin setzten sich auf eine der kleinen Bänke und Mairi fing an zu erzählen.

"Also der Veranstalter dieser Preisverleihung - Jake O'Harrey - ist wie sein Name schon sagt Ire. Und er wollte unter allen Umständen eine Rothaarige als Preisübergeberin und da hat Henry (das war ihr Agent) ihm einfach dich vorgeschlagen und gemeint, dass sich deine Haare einfach nicht färben ließen und dass das gar kein Problem sei. O'Harrey war einfach nur wichtig, dass du rothaarig bist - Ich weiß nicht ob er dich schon einmal gesehen hat oder nicht, aber dein Aussehen, ist im egal. Was wichtig war, waren deine roten Haare - Ich denke der Kerl vermisst seine Heimat sehr, aber egal ich schweife ab. Jedenfalls hat er gesagt er macht dir und Henry die Hölle heiß. solltest du auch nur irgendwas mit deiner roten Lockenpracht tun bis heute - aber das wusstest du ja nicht, und da ich dachte, dass Henry dir schon Bescheid gegeben hatte, habe ich dich auch nicht informiert und jetzt sitzen wir hier und reden darüber was geschehen wird, wenn Jake O'Harrey …"

Weiter kam sie nicht, denn genau in diesem Moment spazierte ein großer, ja fast hünenhafter, schwarzhaariger Mann hinein und hätte ihn nicht jemand mit Jake angesprochen, er hätte mir augenblicklich gefallen. Aber schon zum zweiten Mal heute, waren zu viele "wenn" in meinem Satz - natürlich und zum Glück unausgesprochenen Satz. Er sprach kurz mit Anne, würdigte sie dabei kaum eines Blickes als hätte er Wichtigeres zu tun und steuerte genau auf den armen Henry zu, der gerade von der anderen Seite des Raumes gekommen war und sichtlich zur Salzsäule erstarrte als er O'Harrey hier stehen sah.

"Henry wo ist sie?", fragte Jake mit unverkennbarem irischem Akzent, der das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Henry warf ihr einen hilfesuchenden Blick zu, den Jake sofort auffing und er drehte sich zu ihr um und fing an lauthals zu lachen.

"Das soll sie sein? Aber sie ist blond!" Jake fand das anscheinend so komisch, dass er sich sogar den Bauch hielt und sich an die Knie klopfte. Sie und die Anderen kicherten leise, doch Jake hörte es gleich, hob den Kopf und ihnen allen blieb das Lachen in der Kehle stecken.

"Spaß beiseite Henry - Wo ist sie?", fragte er sich umblickend, aber nur blond - und schwarzhaarige Models sehend.

Joanna schluckte, straffte die Schultern und sagte so mutig wie sie konnte: "Ich bin das."

Jake blinzelte sie verblüfft an. Wahrscheinlich hatte noch nie jemand das Wort so an ihn gerichtet, dachte sich Joanna.

"Aber Sie sind blond, Mädchen! Blond!" Dann drehte er sich wieder zu Henry um, welcher stark danach aussah als würde er gleich eine Herzattacke erleiden.

"Hatte ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? War es so unverständlich? Was ist daran so schwer zu verstehen wenn ich sage: Es ist mir vollkommen gleichgültig wie das Mädchen aussieht sie soll nur rothaarig sein, zu verstehen? Könnten Sie mir das bitte sagen?", sagte er in gefährlich leisem Tonfall, der Joanna eine Gänsehaut bekommen ließ.

Sie konnte sich Henrys Schweißausbruch und gestotterten Ausredeversuch nicht mehr anhören und lenkte Jakes Aufmerksamkeit erneut auf sich.

"Es war meine Schuld. Ich hatte ganz vergessen, dass Sie unbedingt wollten, dass ich meine roten Haare so lasse wie sie sind, aber da ich nicht daran gedacht habe, ließ ich sie mir wegen der Preisverleihung blond färben, da meine roten Haare einfach nur schrecklich aussahen. Zufrieden? Henry oder sonst jemand kann nichts dafür. Es ist allein meine Schuld."

Seine Augenbrauen schossen so weit in die Höhe, dass Joanna dachte sie würden gleich seinen Haaransatz erreichen; aber das wäre dann doch ein bisschen viel gewesen.

"Sie haben ihre Haare gefärbt weil Sie fanden, dass die Farbe rot ihnen nicht stünde?", fragte er schließlich, als wäre es etwas Unverständliches, sich seine Haare zu färben und etwas verwirrt erwiderte sie nur "Ja genau."

"Nun ja", sagte er wobei er sich durch die Haare fuhr. "Wir haben keinen Ersatz für sie, also werden sie da auf diese Bühne treten und den Preis vergeben, nett lächeln und ich werde versuchen darüber hinwegzusehen, dass sie - und damit meine ich sie alle - mich zutiefst enttäuscht haben, indem sie mir diese eine kleine Bitte nicht erfüllt haben; aber da es ein Missverständnis war, werde ich ein Auge zudrücken." Dann spazierte er hinaus und die jungen Frauen eilten wie aufgescheuchte Hühner herum, um sich fertig zu machen für die Show.

Zum ersten Mal in ihrem Leben bereute sie es, dass ihre roten Locken endlich verschwunden waren und sie stattdessen, blonde glatte Haare hatte.

Die Show lief genauso glatt wie Joannas Haare. Sie übergab den Award mit strahlendem Lächeln, sah hier und da in eine Kamera, begrüßte ein paar Leute und unterhielt sich auch mit vielen. Sie war in ihrer Welt. Was sie eigentlich erstaunte war, dass so viele Frauen sich die Haare rot hatten färben lassen - purpur, rotbraun, mahagoni, kirschrot, weinrot und alles andere an Rottönen von denen sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie existierten und wünschte sich ihre roten Haare zurück, was aber sehr lange dauern würde bis ihr die blonden Haare rausgewachsen wären. Sie seufzte innerlich und sah sich weiter um und bemerkte anfangs gar nicht, dass plötzlich Jake neben ihr stand.

"Sie haben sich zwar die Haare gefärbt aber kein Puder dieser Welt überdeckt ihre Sommersprossen."

Sie drehte sich erschrocken zu ihm um.

"Machen Sie sich gerade über mich lustig?", fragte sie leicht gereizt, mit dem Gedanken noch immer bei ihren "verlorenen" Haaren die sie sich jetzt so sehnlichst zurückwünschte.

"Keineswegs. Ich wollte nur anmerken, dass man Mädchen sofort ansieht - wenn man Ahnung hat - dass sie rothaarig sind; außerdem ist es doch bei Frauen so, dass sie immer das haben wollen, was andere und nicht sie selber haben, und da sehen Sie was passieren kann. Jetzt sind Ihre Haare blond und die meisten Frauen die anfangs blond waren, ließen sich rote Haare machen - was ihnen nebenbei bemerkt nicht wirklich steht, da ihr Hautton nicht dazu passt."

Joanna sah ihn verblüfft an, erwiderte aber nichts. Was gab es da noch zu erwidern? Schließlich hatte er ja recht.

Es gibt Menschen die zu 99% perfekt sind. Das sind nicht die Menschen deren Gesicht vollkommen symmetrisch und rein ist - deren Haarfarbe perfekt ist. Nein - fast perfekt sind die Menschen, die einzigartig sind.

Und Joanna Bournant war einer dieser Menschen.

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Ein haariges Lesevergnügen


Noch mehr haarige Geschichten finden Sie in dem Buch, das aus unserem Wettbewerb "Abenteuer im Frisiersalon" hervorgegangen ist.

Abenteuer im Frisiersalon Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

beim Verlag bestellen
bei amazon bestellen

© Dr. Ronald Henss Verlag