Haarige Geschichten
Kurzgeschichte - Haar, Haare, Frisur, Friseur, Haarfarben, blond, Blondine, Rothaarige, Glatze, Haarausfall, Bart, Rasur, Zöpfe, Locken, Dauerwellen ...

Unser Buchtipp

Abenteuer im Frisiersalon

Abenteuer im Frisiersalon
Hrsg. Ronald Henss
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-9809336-0-5

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Ich hasse Heino

© Helmut Hafner

In den Hochglanzmagazinen, die gerne im Wartezimmer meines Zahnarztes aufliegen, konnte ich sie jeden Tag sehen. Diese knackigen Typen mit ihren Waschbrettbäuchen. Sonnengebrannt, eine Reihe blendend weißer Zähne neben der anderen, und schönes volles Haar. Von diesem Idealbild war ich weit entfernt. Den Bauchansatz konnte man vielleicht noch, wenn man beide Augen zudrückte, übersehen. Aber der hohe Scheitel! Trotzdem wäre ich nicht im Traum auf die Idee gekommen, mir ein Toupet zu kaufen.

Allerdings wurde es mit der Zeit immer schwieriger, die Illusion, so etwas wie eine Frisur auf dem Kopf zu haben, aufrecht zu erhalten. Dazu bedufte es täglich einer gehörigen Portion Haarsprays. Mein morgendlicher Aufenthalt im Badezimmer dauerte daher zuweilen länger, als bei manchem meiner Kollegen die Mittagspause. Sonja, wie alle Frauen auf ihr Aufenthaltsrecht im Badezimmer pochend, moserte daher immer öfter.

"Beeil dich bitte, ich muss mich noch schminken." Diese oder ähnliche Bemerkungen kamen mit der Zeit immer häufiger. Meistens folgte dann noch ein spitzer Zusatz wie "Deine hohe Stirn sieht man sowieso, da brauchst du nicht jedes Haar einzeln auf die andere Seite zu kämmen." Als ob ich das nicht selbst gewusst hätte. Aber da war schließlich noch der Wind. Mein größter Feind auf dem Weg ins Büro. Und um ihm nicht gänzlich ausgeliefert zu sein, musste Woche für Woche eine Dose "Haarbefestigungsmittel" her. Sollte Sonja doch schimpfen wie sie wollte. Außerdem war das Ganze ein psychologisches Problem, wie ich längst erkannt hatte. Schließlich steht man als Glatzkopf mehr im Mittelpunkt als ein "Normalbehaarter".

Diese Tatsache wurde mir erst so richtig bewusst, als ich nach München versetzt wurde. Von da an war ich gezwungen, täglich mit dem Zug zu fahren. Der Eindruck, von allen Seiten ständig beobachtet zu werden, verstärkte sich. Meine diversen Gegenüber im Zugabteil hatten ja genügend Zeit, mich genauestens unter die Lupe zu nehmen. Auch Zeitungen, die zur Tarnung vor das Gesicht gehalten wurden oder vorgetäuschte Schläfrigkeit, um in aller Ruhe über die Brillenränder zu schielen, konnten mich nicht beirren. Ich las förmlich die Gedanken: "Seht euch den an, der hat sie nicht mehr alle!" Und damit konnten nur meine weniger werdenden Haare gemeint sein.

Die ständigen Kontrollblicke meiner lieben Mitmenschen verunsicherten mich zusehends, da halfen auch Sonjas aufmunternde Worte nichts. Selbst die neuen Mitarbeiter in München schienen mich nur als Kollegen zweiter Klasse zu betrachten. Dabei sagt die Haarpracht eines Mannes doch überhaupt nichts über seine praktischen Fähigkeiten aus. Oder etwa doch? Grübelnd und frustriert las ich in meiner letzten Beurteilung unter dem Stichwort "Äußeres Erscheinungsbild": "Der Beamte ist groß und schlank, treibt Sport und ist gesundheitlich voll belastbar." Na bitte, kein Wort von schütterem Haar oder dergleichen. Aber, was hieß schon gesundheitlich voll belastbar? Wer weiß denn, wie es in einem aussieht, der nur ein halber Mensch ist? War ich tatsächlich voll belastbar oder psychisch bereits so angeschlagen, dass ich vor lauter Depressionen nicht mehr richtig zum Arbeiten kam?

Da las ich eines Tages eine Anzeige in einer großen Münchner Tageszeitung: "Testpersonen gesucht! Wir lösen Ihre Haarprobleme. Sprechen Sie mit uns."

Vielleicht sollte ich es doch einmal probieren, überlegte ich. Noch dazu, wo die Testfrisuren gratis waren. Also marschierte ich kurz entschlossen zu der in der Annonce angegebenen Adresse, die mir zu gutem Aussehen, Glück und Selbstzufriedenheit verhelfen sollte. Ein gediegenes Geschäft, das sah man auf den ersten Blick. Teure Teppichböden, hochwertiges Sitzmobiliar und … eine elegante Filialleiterin. Rothemund war ihr Name und alles an ihr passte.

"Wie sie unserer Anzeige entnehmen konnten", begann sie ihren interessanten Monolog, "suchen wir Testpersonen. Ein neuer Lieferant für Rosshaar möchte sein Produkt auf dem Markt vorstellen und bietet daher den ersten fünfzig Personen, die sich zur Verfügung stellen, eine kostenlose Haarkreation."

Aha, dachte ich jetzt bereits leicht amüsiert, Kreation nennt sich das. Toupet hört sich dagegen an wie ein drittklassiges Auslaufmodell! Aber dass diese Dinger ausgerechnet aus Rosshaar hergestellt wurden, beruhigte mich nicht gerade übermäßig. Am Ende würde ich den Salon womöglich wiehernd verlassen. Frau Rothemund schien meine Gedanken erahnt zu haben und zeigte mir auch gleich diese berühmten "Vorher-Nachher-Fotografien". Und die waren wirklich sehr überzeugend. Frohen Mutes begleitete ich deshalb eine junge Hairstylistin (was ist dagegen schon eine Friseuse!) ins Allerheiligste: das eigentliche Haarstudio. Hier saßen sie nun, die Herren Rechtsanwälte, Architekten, Zahnärzte, sonstige Freiberufler und ich, der frustrierte Beamte.

Nach kaum zwei Stunden war die Prozedur beendet und Frau Rothemund geizte nicht mit Komplimenten. Ich selbst war nicht so begeistert, aber irgendwann würde ich mich schon daran gewöhnen, redete ich mir ein.

Im Zug setzte ich mich in den hintersten Winkel. Das änderte an meiner Situation freilich nichts. Ich wurde schon wieder von allen Seiten beobachtet.

"Mensch, der hat ja ein Toupet!" Auch wenn die Mitreisenden nur leise flüsterten, konnte ich es doch ganz deutlich hören! Und auch Sonja begrüßte mich an diesem Tag eher zurückhaltend.

"Du siehst aus wie Heino!" stichelte sie amüsiert. Hinzu kam, dass sich in jenen heißen Sommertagen mein eigenes Haar sehr schnell verfärbte und so der Übergang zum Kunsthaar für jedermann leicht auszumachen war. Zu allem Überfluss löste sich schon in der zweiten Nacht ein Faden, mit dem die "Kreation" an meinem eigenen Haar befestigt war. Am dritten Tag schließlich hatte ich die Nase voll von meiner "Rosshaarzierde". Ich bat Sonja, die restlichen Fäden zu lösen und mich von meiner falschen Männlichkeit zu befreien.

Seitdem genieße ich den Sommer wieder. "Oben ohne" schwitzt man ja auch bedeutet weniger. Beobachtet werde ich übrigens auch nicht mehr. Und mit Heino verwechselt mich bestimmt keiner mehr. Eher schon mit Sean Connery. Aber der sieht ja auch bedeutend besser aus!

Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors.

Eingereicht am
25. August 2007

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